Aktuelle Studie: Neue Daten zur Prävention nach Schlaganfällen ungeklärter Ursache



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16.05.2019 14:00

Aktuelle Studie: Neue Daten zur Prävention nach Schlaganfällen ungeklärter Ursache

Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Rauchen – die Ursachen für ischämische Schlaganfälle, die oft bei älteren Patienten mit Arterienverkalkung auftreten, sind meistens bekannt. Bei kryptogenen Schlaganfällen, die oft jüngere Menschen betreffen, ist die Ursache unbekannt. Expertenvermutungen zufolge verbergen sich dahinter häufig Embolien unbekannten Ursprungs. Da sie sich wiederholen können, bedürfen sie einer medikamentösen Rückfall-Prophylaxe. Welches Medikament dafür optimal geeignet ist, sollte eine internationale Studie klären. Sie ist gestern erschienen. Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) äußern sich dazu.

Die häufigste Form eines Hirninfarkts ist der Ischämische Schlaganfall. Er entsteht durch den Verschluss eines Blutgefäßes. Der dahinterliegende Gehirnbezirk wird dann gar nicht mehr oder nicht mehr ausreichend durchblutet. Es werden verschiedene Ursachen (Ätiologien) unterschieden: Erkrankungen großer Arterien (Makroangiopathie), Erkrankungen kleiner und kleinster Arterien (Mikroangiopathie), deren Verschluss zu kleinen, unterhalb der Hirnrinde gelegen Infarkten führt (sogenannte lakunäre Infarkte) sowie kardiale Embolien, bei denen kleine Blutgerinnsel (Emboli) vom Herz mit dem Blutstrom in die Gehirnarterien gelangen und es verstopfen (Embolisierung).

Eine der häufigsten Ursachen für Schlaganfälle ist eine Arteriosklerose, also eine Gefäßverkalkung. „Ältere Menschen haben oft Gefäßerkrankungen durch Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen“, erklärt Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen. „Bei sogenannten kryptogenen Schlaganfällen ist die Ursache dagegen unbekannt. Sie machen 20 bis 30 Prozent der ischämischen Schlaganfälle aus und betreffen oft schon jüngere Menschen unter 55 bis 60 Jahren.“ Bei fünf Prozent der Patienten mit einem kryptogenem Schlaganfall kommt es in den zwölf Monaten nach der ersten Erkrankung zu einem erneuten Schlaganfall.

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Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Unter der Annahme, dass der Löwenanteil der „kryptogenen“ Schlaganfälle eine embolische Ursache hat (mit jedoch unbekanntem Ursprung des Embolus), wurde ein neuer Terminus eingeführt: ESUS („embolic stroke of undetermined source“ = embolischer Schlaganfall ungeklärter Ätiologie). Bei Patienten mit ESUS kommt daher der Prophylaxe erneuter Schlaganfälle eine besondere Bedeutung zu. Die Sekundärprävention erfolgt bisher mit Acetylsalicylsäure (ASS), einem Thrombozytenaggregationshemmer, der die Verklumpung – also die sogenannte Aggregation – von Blutplättchen/Thrombozyten hemmt.

Experten hoffen, mit Gerinnungshemmern – die auch als Antikoagulanzien bezeichnet werden – aus der Gruppe der sogenannten Nicht-Vitamin-K oralen Antikoagulantien (NOAK) einen noch besseren Schutz vor weiteren Schlaganfällen zu erreichen. „Die Wirkweise der NOAK beruht nicht wie bei ASS auf der Hemmung der Thrombozytenaggregation, stattdessen hemmen sie direkt bestimmte Blutgerinnungsfaktoren“, erläutert Professor Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).

Bisherige Untersuchungen – wie etwa die NAVIGATE ESUS-Studie [1] – haben gezeigt, dass gerinnungshemmende Mittel wie Rivaroxaban bei Patienten mit ESUS nicht wirksamer sind als ASS, um einen wiederkehrenden Schlaganfall nach einem embolischen Schlaganfall ungeklärter Ätiologie zu verhindern. Unter der Leitung von DGN-Pressesprecher Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen wurde eine weitere große randomisierte Studie durchgeführt [2], welche die Wirkung einer Antikoagulation mit Dabigatran (einem direkten Faktor IIa-beziehungsweise Thrombinhemmer) im Vergleich zu ASS auf wiederkehrende (rezidivierende) Schlaganfälle nach ESUS untersuchte. Die Ergebnisse der Studie wurden gestern in der renommierten Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine [2] publiziert.

Bei der Studie „RE-SPECT ESUS („Dabigatran Etexilate for Secondary Stroke Prevention in Patients With Embolic Stroke of Undetermined Source“) handelte es sich um eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde Studie, die Dabigatran 150 mg oder 110 mg zweimal täglich mit ASS 100 mg einmal täglich bei Patienten mit ESUS untersuchte. Der primäre Endpunkt war ein rezidivierender Schlaganfall. Wichtigster Sicherheitsparameter war das Auftreten schwerwiegender Blutungen als Nebenwirkung beziehungsweise Komplikation der Behandlung.

Insgesamt wurden 5.390 Patienten an 564 Standorten in 46 Ländern randomisiert. Alle hatten vor kurzem einen ESUS erlitten. Zur Rezidiv-Prophylaxe erhielten 2.695 Dabigatran und 2.695 ASS. Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 19 Monaten trat ein rezidivierender Schlaganfall bei 177 (6,6 Prozent) der mit Dabigatran behandelten Patienten und bei 207 (7,7 Prozent) der mit ASS behandelten Patienten auf. Dabigatran verhinderte somit das Auftreten von Rezidiv-Schlaganfällen nach ESUS nicht signifikant besser als ASS 100. Schwere Blutungen als Therapienebenwirkung traten bei 77 (2,9 Prozent) Patienten mit Dabigatran und bei 64 (2,4 Prozent) Patienten mit ASS auf. Dabigatran hatte statistisch kein signifikant erhöhtes Risiko für schwerwiegende Blutungen verglichen mit ASS.

„Auch wenn die Studie keine Überlegenheit der Therapie mit Dabigatran gegenüber ASS zeigte, so konnte erfreulicherweise die Sorge um durch eine überschießende Gerinnungshemmung ausgelöste schwere Blutungskomplikationen ausgeräumt werden“, resümiert Professor Schäbitz, Neurologe am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Dabigatran und andere Substanzen der NOAK/DOAK-Gruppe bieten gegenüber den klassischen „alten“ Antikoagulanzien wie Heparin und Vitamin-K-Antagonisten, wie zum Beispiel Marcumar, verschiedene Vorteile für die Patienten. Sie sind im Gegensatz zu Heparin, welches täglich unter die Haut gespritzt werden muss, oral verfügbar und bedürfen keines strengen Therapiemonitorings wie die Vitamin-K-Antagonisten (deren Wirkung relativ schwer vorhersagbar ist und daher streng mit Blutkontrollen überwacht werden muss).

Literatur
[1] Hart RG, Sharma M, Mundl H et al.; NAVIGATE ESUS Investigators. Rivaroxaban for Stroke Prevention after Embolic Stroke of Undetermined Source. N Engl J Med 2018; 378(23): 2191-201
[2] Diener HC, Sacco RL, Easton JD et al. Dabigatran for Prevention of Stroke after Embolic Stroke of Undetermined Source. N Engl J Med 2019; 380:1906-1917. DOI: 10.1056/NEJMoa1813959

Gemeinsame Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Pressesprecher der DGN (Kontakt via Pressestelle)

Prof. Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz
Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)
Evangelisches Klinikum Bethel
Klinik für Neurologie
Haus Gilead I | Bethel
Burgsteig 13
33617 Bielefeld
Telefon: 0521/77278301

Kontakt für Journalisten:

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
E-Mail: presse@dgn.org

Pressestelle der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)
Friederike Gehlenborg
Tel.: +49 (0)711 8931-295, Fax: +49 (0)711 8931167
E-Mail: gehlenborg@medizinkommunikation.org
www.dsg-info.de

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org

Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)
Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) wurde im Dezember 2001 gegründet. Ziel der Gesellschaft ist es, die Forschung und Weiterbildung im Bereich des Schlaganfalls zu koordinieren, zu qualifizieren und zu fördern. Gewünscht ist auch eine politische Einflussnahme, um der Erkrankung „Schlaganfall” eine angemessene Bedeutung zu geben.
Mit ihren Aktivitäten spricht die DSG alle Ärzte und Leistungserbringer im Gesundheitswesen an, die in die Versorgung von Schlaganfall-Patienten eingebunden sind.


Originalpublikation:

Diener HC, Sacco RL, Easton JD et al. Dabigatran for Prevention of Stroke after Embolic Stroke of Undetermined Source. N Engl J Med 2019; 380:1906-1917. DOI: 10.1056/NEJMoa1813959


Weitere Informationen:

http://www.dgn.org
http://www.dsg-info.de


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW