Auf der Suche nach personalisierten Krebsmedikamenten



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25.11.2020 09:04

Auf der Suche nach personalisierten Krebsmedikamenten

Mit neuen Biosensoren sind Forscher der Universität Innsbruck in der Lage die Aktivität von Kinasen direkt in intakten Zellen zu bestimmen. Nun haben die Grundlagenforscher um Eduard Stefan diese Technologie weiterentwickelt, um vorhersagen zu können, ob Medikamente bestimmte Kinasen hemmen, deren Mutationen Krebserkrankungen auslösen können.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Signalwege in menschlichen Zellen können durch Mutationen in Kinasen, die als molekulare Schalter fungieren, gestört werden. Oft sind schwere Krankheiten wie Krebs die Folge. Seit einigen Jahren verfügt die Medizin über die Mittel, gezielt gegen mutierte Kinasen vorzugehen. So wurde 2011 mit Vemurafenib das erste Kinasemedikament zugelassen, das eine mutierte Variante der Proteinkinase BRAF hemmt, welche zur Entstehung von Melanomen beiträgt. Inzwischen sind über 60 Kinaseinhibitoren für klinische Anwendungen, hauptsächlich in der Onkologie, zugelassen. Wissenschaftler um Eduard Stefan vom Institut für Biochemie und dem Forschungsschwerpunkt für Molekulare Biowissenschaften (CMBI) der Universität Innsbruck haben nun untersucht, ob BRAF-Inhibitoren auch bei anderen Tumorerkrankungen wirken könnten. Sie nutzen dafür eine zum Patent angemeldete Biosensor-Technologie, die an der Universität Innsbruck entwickelt wurde und derzeit im Rahmen des von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Spin-off Fellowships „KinCon biolabs“ weiterentwickelt wird. Bei dem Verfahren werden die beiden Enden des Kinaseproteins mit zwei Reporterproteinfragmenten fusioniert und in Zellen exprimiert. „Wird die mutierte Kinase in der Zelle durch den Inhibitor inaktiviert, dann verändert sich die Struktur der Kinase. Im Falle der Kinase BRAF nähern sich die beiden Enden des Enzyms und damit auch die beiden Reporterproteinfragmente aneinander an, interagieren und beginnen in der Zelle vermehrt zu leuchten“, erklärt Eduard Stefan die Wirkungsweise des KinCon-Biosensors. So können die Forscher die pathologische Funktion von diversen ONCO-Kinasen direkt in intakten Zellpopulationen nachverfolgen.

Personalisierte Medizin mit KinCon Biosensoren

In einer Arbeit im renommierten Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences zeigt die Gruppe um Eduard Stefan mit dem Team um Jakob Troppmair vom Daniel Swarovski-Forschungslabor der Medizinischen Universität Innsbruck, dass Medikamente, die für die Behandlung von Melanom zugelassenen sind, eventuell auch bei spezifischen BRAF-Kinase-Mutationen, die auch bei Lungenkrebs auftreten, wirksam sein könnten. Die drei zugelassenen Kinase-Inhibitoren zeigen in den Biosensorstudien Unterschiede in der Wirksamkeit. Diese Vorhersagen der Grundlagenforscher konnten in Analysen mit Lungenkarzinomzelllinien, die bestimmte BRAF-Mutationen aufweisen, bestätigt werden. Gleiches gilt für einen noch in vorklinischen Studien befindlichen experimentellen Wirkstoff. Bestätigt werden diese Ergebnisse zudem retrospektiv durch translational-orientierte Studien anderer Forschungsgruppen zur Effizienz dieser Wirkstoffe bei Lungenkrebs.
„Man kann heute durch genetische Untersuchungen das Mutationsspektrum von Krebszellen sehr genau charakterisieren. Daher hoffen wir, dass wir mit unserer KinCon Biosensorplattform mithelfen können, die Wirksamkeit von Kinaseinhibitoren in Bezug auf das patientenspezifische Kinasemutationsprofil vorherzusagen“, erklärt Eduard Stefan. „Solche biotechnologischen Ansätze ebnen den Weg für neue Konzepte der personalisierten Medizin, mit denen man für Patienten das passende Medikament zu finden hofft.“ Mit seinem Team will der Biochemiker Eduard Stefan die Biosensor-Plattform KinCon nun auf weitere Klassen von Kinasen ausweiten und damit einen entscheidenden Beitrag auf der Suche nach personalisierten Medikamenten leisten.

Finanziell unterstützt wurde die Studie vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und der Tiroler Krebshilfe.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Priv.-Doz. Dr. Eduard Stefan
Institut für Biochemie
Universität Innsbruck
Telefon: +43 512 507-57531
E-Mail: Eduard.Stefan@uibk.ac.at


Originalpublikation:

Mutation-oriented profiling of auto-inhibitory kinase conformations predicts RAF inhibitor efficacies. Johanna E Mayrhofer, Florian Enzler, Andreas Feichtner, Ruth Röck, Jakob Fleischmann, Andrea Raffeiner, Philipp Tschaikner, Egon Ogris, Roland G Huber, Markus Hartl, Rainer Schneider, Jakob Troppmair, Omar Torres-Quesada, Eduard Stefan. Proceedings of the National Academy of Sciences 2020 doi:10.1073/pnas.2012150117 [https://doi.org/10.1073/pnas.2012150117]


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW