Bayreuther Studie zur Aktivierung des Enzyms Sirtuin 6: Auf dem Weg zu Wirkstoffen gegen altersbedingte Erkrankungen



Teilen: 

02.03.2021 14:42

Bayreuther Studie zur Aktivierung des Enzyms Sirtuin 6: Auf dem Weg zu Wirkstoffen gegen altersbedingte Erkrankungen

Auf der Suche nach Wegen, altersbedingte Erkrankungen des Menschen effektiv zu bekämpfen, ist das Enzym Sirtuin 6 (Sirt6) in den Fokus der biochemischen Forschung gerückt. Eine gezielte Aktivierung von Sirt6 könnte derartige Erkrankungen, zum Beispiel einige Krebsarten, verhindern oder abschwächen. Biochemiker der Universität Bayreuth zeigen jetzt in einem Beitrag für die Zeitschrift „Nature Chemical Biology“, wie das Kleinmolekül MDL-801 an das Enzym Sirt6 bindet und dessen Aktivität beeinflusst. Diese Erkenntnisse fördern die Entwicklung neuer biomedizinischer Wirkstoffe.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Der Organismus des Menschen enthält sieben verschiedene Sirtuine, die als “Sirt1” bis “Sirt7” bezeichnet werden. Es handelt sich um Enzyme, die einen wesentlichen Anteil an der Regulierung des Stoffwechsels und der Regulierung von Stressreaktionen haben. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Clemens Steegborn an der Universität Bayreuth hat in den letzten Jahren in mehreren Forschungsbeiträgen gezeigt, wie Sirt6 durch Kleinmoleküle aktiviert werden kann. Mit ihrer jetzt in „Nature Chemical Biology“ veröffentlichten Studie knüpfen Steegborn und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Weijie You direkt an diese Erkenntnisse an. Sie haben herausgefunden, dass das Molekül MDL-801 mit Sirt6 interagiert, indem es eine strukturelle Besonderheit dieses Enzyms nutzt: eine von außen gut zugängliche, ungewöhnlich weite Bindungstasche, die normalerweise an der Interaktion mit Substratproteinen beteiligt ist. Dieser molekulare Hohlraum setzt sich in einem offenen Kanal fort, der bis in das katalytische Zentrum von Sirt6 führt. In diesem für Sirt6 charakteristischen Kanal ist MDL-801 verankert, wenn es das Enzym aktiviert. Vor allem durch Aktivitätsstudien und Röntgenstrukturanalysen konnten Steegborn und You sowohl die Bindestelle als auch molekulare Prozesse identifizieren, die an der Aktivierung von Sirt6 durch MDL-801 beteiligt sind.

Wie die Bayreuther Biochemiker bereits in früheren Studien gezeigt haben, sind auch die Wirkstoffe UBCS039, Quercetin und Fluvastatin in der Lage, Sirt6 zu aktivieren. Sie nutzen dafür den gleichen offenen Kanal, in dem auch MDL-801 andockt. Dieser langgestreckte Hohlraum wird auch als Acylkanal bezeichnet. Denn sobald sich Sirt6 in einem aktivierten Zustand befindet, spaltet es Acylgruppen von Proteinen ab. Dadurch beeinflusst es unter anderem die von Genen gesteuerte Synthese von Proteinen. Erkenntnisse zur Aktivierung von Sirt6 bieten daher wertvolle Anhaltspunkte für die Entwicklung von Wirkstoffen, die altersbedingten Krankheiten – beispielsweise der Entstehung von Tumoren – entgegenwirken können.

„Alle Kleinmoleküle, für die wir bisher eine aktivierende Wirkung auf Sirt6 nachweisen konnten, nutzen den Acylkanal, um an Sirtuin 6 zu binden. Und obwohl sie chemisch zum Teil sehr unterschiedlich sind, tun sie dies auf sehr ähnliche Weisen. Das eröffnet uns die Chance, die Details ihrer jeweiligen Wechselwirkungen für das Feintuning biochemischer Wirkstoffe zu nutzen. Diese Wirkstoffe sind dann imstande, Sirt6 auf eine spezifische Weise zu regulieren. So können sie zielgenau zur Vorbeugung oder Heilung von Erkrankungen eingesetzt werden, die mit Alterungsprozessen in Zusammenhang stehen“, sagt Steegborn.

Mit ihrer neuen Studie widerlegen Steegborn und You eine wesentliche Aussage, die eine Forschungsgruppe in Shanghai im Jahr 2018 in „Nature Chemical Biology“ publiziert hat (DOI: 10.1038/s41589-018-0150-0). In diesem Beitrag wurde MDL-801 als neuer Sirt6-Aktivator beschrieben. Anhand einer röntgenkristallographischen Struktur sollte gezeigt werden, dass MDL-801 an einen anderen molekularen Abschnitt von Sirt6 bindet als andere Aktivatoren.„Diese Struktur, die durch eine falsche Interpretation von Messdaten zustandekam, hat seit ihrer Veröffentlichung zahlreiche Forschungsteams in die Irre geführt. Unsere Studie korrigiert diesen Fehler und macht es dadurch möglich, effizient an verbesserten Wirkstoffen zu arbeiten“, sagt Steegborn.

Forschungsförderung:
Die jetzt in „Nature Chemical Biology“ veröffentlichten Forschungsarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Clemens Steegborn
Biochemie I
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 55 7831
E-Mail: clemens.steegborn@uni-bayreuth.de


Originalpublikation:

Weijie You, Clemens Steegborn: Binding site for activator MDL-801 on SIRT6. Nature Chemical Biology (2021), DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41589-021-00749-y


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW