Biomedizinische Grundlage der Barker-Hypothese aufgedeckt



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02.02.2021 09:00

Biomedizinische Grundlage der Barker-Hypothese aufgedeckt

Eine Forschungsgruppe des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern publiziert in «Nature Communications» eine umfangreiche Studie zu vorgeburtlichen Ursachen von Nierenerkrankungen bei Erwachsenen. Die Erkenntnis: Das Serumprotein Fetuin-A spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von lokalen Entzündungen und Mikroverkalkungen in der fötalen Niere, die Auswirkungen auf die Nierenfunktion im Erwachsenenalter haben. Die Studienergebnisse geben Hinweise auf einen klinischen Einsatz von Fetuin-A bei Nierenerkrankungen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Laut der Barker-Hypothese nach Hales and Barker, 1992 (auch «small baby syndrome»-Hypothese genannt) weisen Säuglinge mit zu geringem Körpergewicht ein erhöhtes Risiko auf, im Erwachsenenalter an kardiovaskulären Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes und chronischen Nierenerkrankungen zu leiden. Gemäss dieser Hypothese erlauben die fötalen Schutzmechanismen eine Anpassung an ungünstige intrauterine Verhältnisse (chronischer Sauerstoff- oder Nährstoffmangel) und ermöglichen das Überleben des Fötus. Gleichzeitig führen sie aber bis ins Erwachsenenalter zu bleibenden strukturellen und funktionellen Belastungen und Veränderungen. Die jüngst in «Nature Communications» publizierte umfangreiche Studie klärt nun erstmals zentrale Mechanismen dieses Phänomens auf.

Fetuin-A mit Schlüsselrolle
Im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Nationalen Forschungsschwerpunktes Kidney.CH hat das Forschungsteam ein Mausmodell entwickelt, das eine auf Sauerstoffmangel zurückzuführende Verringerung des Wachstums initiiert. Zunächst wurde entdeckt, dass ein Sauerstoffmangel des Fötus (fötale Hypoxie) lokale Entzündungen und Mikroverkalkungen mit Gewebeschädigung in der Niere und dadurch eine schnellere Abnahme der Nierenfunktion im Erwachsenenalter verursacht. So konnte die Barker-Hypothese anhand experimenteller Befunde bestätigt werden. Gleichzeitig wird durch den Sauerstoffmangel das Gen für das Serumprotein Fetuin-A lokal in der Niere, also ausserhalb des bisher bekannten Expressionsortes aktiviert. Dies ist durchaus zweckmässig, ist doch die bereits bekannte Funktion von Fetuin-A der Schutz des Gefässsystems vor Verkalkung.

Weiter weist die Studie zahlreiche, bisher nicht bekannte Funktionen von Fetuin-A in der Niere nach. Dazu zählen die Verhinderung von Verkalkung und von fibrotischen Veränderungen des Nierengewebes, sowie die Hemmung von Entzündungsprozessen. Weiter konnte das Forschungsteam zeigen, dass Fetuin-A diese Funktionen nicht nur während der Entwicklung ausübt, sondern auch in vollständig ausgebildeten Nieren vor einer fibrotischen Verwachsung des Nierengewebes nach akutem Sauerstoffmangel schützt.

Fetuin-A mit bedeutendem, pharmakologischem Potenzial
Die Vielseitigkeit der Wirkungsweisen von Fetuin-A hat zunächst ebenso überrascht, wie der Umstand, dass die Nieren davon ganz besonders geprägt sind. Es deutet viel darauf hin, dass Fetuin-A als Medikament sowohl bei Schäden durch Sauerstoffmangel in der Niere wie auch nach der Reperfusion einer ischämischen Durchblutungsstörung eine wichtige Rolle spielen könnte. Der Erstautor Stefan Rudloff erläutert hierzu: «Für uns war die Entdeckung, dass Fetuin-A unter Sauerstoffmangel in der fötalen Niere gezielt, ausserhalb der Leber, produziert wird, ein erster, überraschender Befund. Je weiter wir die Untersuchungen ausgedehnt haben, desto klarer wurde die Bedeutung von Fetuin-A nicht nur bei der Bewältigung von Schäden durch Sauerstoffmangel in der Fötalphase, sondern auch im Erwachsenenalter.»

Translationale Forschung und Entwicklung
Das Forschungsteam von Prof. Dr. med. Uyen Huynh-Do und Dr. rer. nat. Stefan Rudloff an der Universitätsklinik für Nephrologie und am Department for Biomedical Research der Universität Bern kann sich auf sehr günstige Standortbedingungen abstützen. Das Folgeprojekt wird von der «Research Acceleration Initiative 2020» (RAI 2020) der Forschungsabteilung der Firma CSL Behring gefördert. Es gehört zu den drei Gewinnern der Projektfinanzierung im Rahmen der RAI 2020. Die Studienleiterin Prof. Uyen Huynh-Do betont: «Ohne Funding und Netzwerk des NFS Kidney.CH hätten wir diese Studie nicht durchführen können. Die zukünftige enge Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung der CSL Behring als Industriepartner wurde zudem durch sitem-insel (Schweizerisches Institut für Translationale Medizin und Unternehmertum) unterstützt. In den Räumen der sitem-insel wird translationale Forschung und Entwicklung sehr ernst genommen und tatkräftig gefördert. Dank der Nähe der Universitätsklinik, der Forschungseinrichtungen der Universität am DBMR und des Industriepartners CSL Behring konnte nun ein weiterführendes, translationales Projekt gestartet werden, das auf den neu publizierten Forschungsdaten aufbaut.»


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

– Prof. Dr. med. Uyen Huynh-Do, Leitende Ärztin, Universitätsklinik für Nephrologie und Hypertonie, Inselspital, Universitätsspital Bern
– Dr. rer. nat. Stefan Rudloff, Postdoktorand, Department for Biomedical Research (DBMR), Universität Bern


Originalpublikation:

DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-020-20832-7


Weitere Informationen:

https://www.insel.ch


Anhang

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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW