Depression in der Pupille sehen



Teilen: 

26.11.2020 16:19

Depression in der Pupille sehen

Können Menschen etwas gewinnen oder verlieren, so erweitert sich ihre Pupille leicht. Forscher haben herausgefunden, dass diese Erweiterung bei akut depressiven Patienten geringer ausfällt als bei Gesunden. Je schwerer die Patienten erkrankt waren, desto weniger weitete sich sogar das Augeninnere. Diese Erkenntnis könnte langfristig zu einer fundierteren Diagnose führen, die nicht nur auf den Aussagen der Patienten basiert, sondern biologisch begründet ist. Daraus abgeleitet könnte auch die Therapie mit Medikamenten individueller angepasst werden.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler herauszufinden, ob depressive Patienten Belohnungen weniger wertschätzen als nicht-depressive Probanden. Studienteilnehmer im Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI) absolvierten jetzt im Magnetzresonanztomographen (MRT) ein einfaches Spiel, bei dem sie einen kleinen Geldbetrag gewinnen konnten. Ein klarer Anreiz, der bei Gesunden zur Erweiterung der Pupille führt. Dabei haben die Forscher die Pupillen ihrer Studienteilnehmer extrem genau und mit extrem hohem Tempo vermessen: Mit einem speziellen Versuchsaufbau konnten sie 250 Bilder pro Sekunde aufnehmen – zum Vergleich, wir blinzeln überhaupt nur alle vier bis sechs Sekunden.

Das Ergebnis: die MPI-Wissenschaftler konnten erstmals die Verbindung zwischen einer Pupillen-Erweiterung als Reaktion auf eine zu erwartende Belohnung und dem Schweregrad der Depression der jeweiligen Testperson nachweisen. Je schwerer die Symptome waren, desto weniger weit öffneten sich die Pupillen.

Die Studie zeigt, dass die Aussicht auf eine Belohnung bei schwer depressiven Patienten nicht zur gleichen Verhaltensaktivierung führt wie bei Gesunden. Ihr Nervensystem kann sich selbst bei so einer positiven Erwartung weniger stark aktivieren. „Wir vermuten, dass dahinter ein physiologisches System steht, das die oft berichtete Antriebsstörung bei Patienten teilweise erklären kann“, sagt Studienleiter Victor Spoormaker.

Die Forscher am MPI gehen davon aus, dass psychiatrische Erkrankungen anders aufgeteilt werden sollten als in die bisherigen Diagnose-Gruppen. Maßgebend wären biologische Faktoren wie die Pupillenerweiterung, die klar messbar sind. Depressive Patienten, die mit ihren Pupillen weniger stark reagieren, würden eine eigene Untergruppe bilden. „Dann könnten wir diese Patienten medikamentös auch zielgerichteter behandeln“, so die Einschätzung von Spoormaker. Um diesen Ansatz zu verfeinern, bedarf es noch weiterer Forschung.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Victor Spoormaker
spoormaker@psych.mpg.de


Originalpublikation:

Brain Sciences | https://doi.org/10.3390/brainsci10120906


Weitere Informationen:

https://www.psych.mpg.de/2700177/news_publication_16072044_transferred?c=25056


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW