Drastische Steigerung der Genauigkeit bei der Prostatakrebs-Diagnose dank neuartigem Radiopharmakon



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16.03.2022 11:52

Drastische Steigerung der Genauigkeit bei der Prostatakrebs-Diagnose dank neuartigem Radiopharmakon

Zigtausende Männer in Deutschland erkranken jedes Jahr an Prostatakrebs. Die Überlebenschance ist gut, wenn er früh erkannt wird. Dennoch können in manchen Fällen auch nach Jahren noch Metastasen auftauchen, selbst wenn die Prostata längst entnommen wurde. Wissenschaftlern um den Professor für Nuklearmedizin, Samer Ezziddin, ist es nun gelungen, mithilfe einer neuartigen Substanz die Bildgebung für diese Patienten erheblich zu verbessern. Damit steigt auch die Überlebenschance.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebsart bei Männern in Deutschland. Pro Jahr werden rund 62.000 Neuerkrankungen diagnostiziert (siehe Fußnote). Wie bei vielen bösartigen Tumoren ist auch der Prostatakrebs gut zu behandeln, wenn er früh entdeckt wird. Rund 90 Prozent der Patienten überleben dank einer Bestrahlung oder der Entnahme der Prostata. Doch auch nach einer Entnahme der Prostata können noch Metastasen entstehen. „Das passiert etwa dann, wenn bei der Operation winzige Teile des Tumorgewebes im Gewebe verbleiben. Diese können dann noch viele Monate später dazu führen, dass sie metastasieren, obwohl der ursprüngliche Tumor längst nicht mehr vorhanden ist“, erklärt Samer Ezziddin, Professor für Nuklearmedizin an der Universität des Saarlandes und Direktor der Klinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes.

Seit einigen Jahren haben Mediziner eine zuverlässige Methode, diese Metastasen und Lokalrezidive – in derselben Region wiederkehrende Tumore – aufzuspüren: mithilfe einer sogenannten PSMA-PET/CT-Aufnahme im Positronen-Emissions-Computertomographen. Ausgangspunkt ist der Nachweis des Prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut der Patienten, nachdem die Prostata bereits entnommen ist. Denn der Nachweis dieses prostataspezifischen Moleküls, das auch vom Prostatatumor produziert wird, kann ja eigentlich nur dann gelingen, wenn bei dem betroffenen Mann eine Prostata oder Prostatatumor vorhanden ist. Wurde sie bereits entnommen, und im Blut ist dennoch PSA messbar, kann dies darauf hindeuten, dass der bereits vor längerer Zeit entnommene Primärtumor Metastasen oder lokale Absiedlungen gebildet hat.

Wo genau sich diese Metastasen aber befinden könnten, die für das PSA verantwortlich sind, ist unklar. Denn, so eine Besonderheit des Prostatakarzinoms, die Metastasen bilden auch andernorts, etwa in den Knochen, Lymphknoten oder der Leber, die spezifischen Tumormarker aus. Bei der PSMA PET-CT werden nun das (ähnlich benannte) PSMA (=Prostata-spezifisches Membran-Antigen), ein Eiweißmolekül an der Oberfläche der Prostatatumorzellen, sichtbar gemacht und damit die Metastasen aufgespürt. „Aber auch andere, ungefährliche Strukturen im Körper können PSMA-bildend sein“, erklärt Samer Ezziddin. So kann es nach einem Knochenbruch dazu kommen, dass durch die verstärkte Bildung von Blutgefäßen rund um das betroffene Gewebe zur Bildung von PSMA kommt. Ebenso können beispielsweise kleine und völlig ungefährliche Blutschwämmchen PSMA exprimieren.

Hier kommt dann die moderne Bildgebung ins Spiel: „Seit etwa 2014, 2015 herum können wir mithilfe eines PSMA-PET/CTs nun gut sehen, wo sich Metastasen oder auch ein Lokalrezidiv gebildet haben“, erklärt Nuklearmediziner Samer Ezziddin. „Dafür wird ein so genanntes Radiopharmakon in die Venen injiziert. Dabei handelt es sich um eine schwach radioaktive Substanz, die an den PSMA-Molekülen andocken kann. Deren Verteilung sehen wir nach einer gewissen Zeit im PET-CT, so dass wir erkennen können, wo ein Tumor beziehungsweise seine Metastasen sitzen.“

Seit dieser Zeit sind kurzlebige Radiopharmaka wie Gallium-68(68Ga)-markierte PSMA-Liganden die Mittel der Wahl. Rund eine Stunde nach der Injektion, der Halbwertszeit des Isotops, sieht man dann recht genau, wo sich das strahlende Radiopharmakon im Körper ansammelt, wo also ein Tumor sitzen könnte. Auf dem PET-CT-Bild ist bösartiges Tumorgewebe aber zuerst einmal nicht von harmlosen Strukturen wie Blutschwämmchen und anderen zu unterscheiden. „In 50 Prozent der Fälle sehen wir gar keine Auffälligkeiten im herkömmlichen PSMA-PET/CT“, führt der Nuklearmediziner weiter aus.

Ezziddin und sein Team haben daher nun ein Radiopharmakon getestet, das eine deutlich längere Halbwertszeit hat, da sie das Isotop Zirkonium 89 (89Zr) enthält. Dieses ist sogar nach mehreren Tagen noch nicht vollständig zerfallen. „Die Ergebnisse waren überwältigend“, sagt Samer Ezziddin. „Wir haben 20 Patienten damit untersucht, deren konventionelle PSMA PET/CTs alle negativ waren. Dort haben wir also keine Metastasen oder anderes Tumorgewebe sehen können. Mit dem Zirkonium-89 markierten Radiopharmakon haben wir in unserer kleinen Stichprobe tatsächlich bei all diesen Patienten Tumore und Metastasen im Anfangsstadium erkennen können.“

Diese Patienten konnten nun in einem sehr viel früheren Stadium mit einer Strahlentherapie behandelt werden. Dadurch, dass die Mediziner nun genau wussten, wo die Krebszellen sitzen, konnten sie diese Regionen auch sehr viel genauer mit einer sehr viel höheren Dosis bestrahlen, da sie nun nicht aus Unkenntnis „wie mit der Gießkanne“ auch umliegendes Gewebe mit bestrahlen müssten, das sie aber möglichst schonen sollten. Wäre der Befund nach der herkömmlichen Methode negativ gewesen, wären Rezidive und Metastasen mitunter erst sehr viel später diagnostiziert worden. „Damit hätte sich natürlich auch die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten verschlechtert“, sagt Samer Ezziddin über die Folgen.

„Durch die lange Halbwertszeit können wir aber nicht nur die bisher negativen Patienten untersuchen. Auch bei schwach positiven Patienten können wir dadurch die unklaren Stellen klären, wo sich also beispielsweise Blutschwämmchen befinden oder auch gutartige Geschwulste für PSMA-Bildung sorgen“, sagt Samer Ezziddin. „Diese sind nach einigen Tagen, im Gegensatz zu dem bösartigen Tumorgewebe, nicht mehr auf den PET/CT-Aufnahmen zu sehen.“ Der Grund liegt in einer etwas abweichenden Struktur der PSMA-Moleküle. Das Radiopharmakon bindet dann nicht mehr an diesen Stellen, so dass nach mehreren Tagen nur noch das tatsächliche Tumorgewebe zu sehen ist. Die Zielgenauigkeit steigt also drastisch mit Zirkonium-89 in der Bildgebung.

Bei den Erkenntnissen Samer Ezziddins und seines Teams handelt es sich noch nicht um eine begutachtete Studie, sondern vorerst um eine Fallstudie. Dem Mediziner ist es aber aufgrund der großen Relevanz für viele Patienten ein Anliegen, die überraschend eindeutigen Ergebnisse seiner kleinen Fallstudie publik zu machen. Möglicherweise können so auch Patienten davon profitieren, bei denen Metastasen bislang vorerst unentdeckt geblieben wären.

„Konservativ geschätzt, würde ich sagen, dass jedes Jahr deutschlandweit zwischen 5.000 und 10.000 Patienten von dieser Methode profitieren könnten“, sagt Samer Ezziddin.

Fußnote: https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/k…

Redaktion
Thorsten Mohr
T: 0681 302-2648
presse.mohr@uni-saarland.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Samer Ezziddin
Tel.: (06841) 16-22201
E-Mail: samer.ezziddin@uks.eu


Originalpublikation:

https://journals.lww.com/nuclearmed/Abstract/9000/89Zr_PSMA_617_PET_CT_May_Revea… – Link zur Fallstudie
doi: 10.1097/RLU.0000000000004108
Als Fallbeispiel sind darin PET/CT-Aufnahmen eines Mannes aus der untersuchten Patientengruppe zu sehen.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW