Ein genetischer Aufpasser für ein gesundes Altern?



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09.08.2019 07:00

Ein genetischer Aufpasser für ein gesundes Altern?

MDC-Forscherinnen und Forscher haben einen epigenetischen Mechanismus entdeckt, der anscheinend großen Einfluss auf das gesunde Altern hat. Es handelt sich um ein Protein, das die Funktionsfähigkeit der Muskulatur, die Lebenserwartung und den Spiegel eines essentiellen Zuckers kontrolliert. Wie kann ein Protein solch einen Einfluss haben?

Forscherinnen und Forscher des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC haben ein Protein entdeckt, das erheblichen Einfluss auf eine gesunde Muskulatur und die Lebenserwartung hat. Wenn Tiere dieses Protein namens LIN-53 fehlt, haben sie schwerwiegende Muskelschäden und eine eingeschränkte Beweglichkeit. Sie sterben früher im Vergleich zu Tieren, die dieses Protein haben.

Dr. Baris Tursun, der Leiter des Labors „Genregulation und Zelltypspezifizierung in C. elegans“ am BIMSB, und seine Kolleginnen und Kollegen haben zwei spezifische Signalwege entdeckt, über die LIN-53 in Rundwürmern (C. elegans) funktioniert. Ihre Ergebnisse, die in der Zeitschrift Aging Cell veröffentlicht wurden, legen den Grundstein für weitere Studien an der menschlichen Version des Proteins.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
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Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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„Wir wollen genetische Faktoren identifizieren, die Lebens- und Gesundheitsspanne verknüpfen. Das ist ein Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Gesundheit und von altersbedingten Erkrankungen wie beispielsweise Muskeldystrophie“, sagt Tursun. 

Epigenetischer Faktor

LIN-53 ist nicht irgendein Protein, es ist ein „Histon-Chaperon“. Es bindet an Histone, also jene Moleküle, an die sich die langen DNA-Stränge eng anschmiegen, um in den Zellkern zu passen. Verändert sich ein Histon kann das letztendlich dazu führen, dass das Ablesen der Gene hoch- oder heruntergefahren wird. Das wiederum beeinflusst die Entwicklung, Funktion und Lebenserwartung eines Organismus. LIN-53 gilt als „epigenetischer Faktor“, weil das Protein durch sein Zusammenspiel mit Histonen dabei hilft, Gene zu aktivieren oder zu deaktivieren. So können vererbbare Eigenschaften auf den Nachwuchs übergehen, ohne dass dabei die zugrundeliegende DNA-Sequenz verändert wird.

Tursun und sein Team wollten verstehen, ob dieser epigenetische Faktor Einfluss darauf hat, wie lange ein Organismus lebt (Lebensspanne) und wie lange der Organismus dabei gesund ist (Gesundheitsspanne). Sie wollten außerdem herausfinden, ob Lebens- und Gesundheitsspanne unmittelbar zusammenhängen.

„Wenn wir älter werden, bemerken wir normalerweise Alterungserscheinungen, die von einem Verlust von Muskelmasse begleitet sind“, sagt Tursun. „Handelt es sich dabei um Zufälle oder gibt es da einen Zusammenhang? Falls es einen Zusammenhang gibt, wie sind diese Faktoren genau miteinander verknüpft? Unsere Studie ist eine der ersten Veröffentlichungen, die eine epigenetische Verbindung zeigt.”

Ein Faktor, zwei Wege

Das Team untersuchte die Rolle von LIN-53 in Caenorhabditis elegans (C. elegans), einem nur einen Millimeter langen Wurm. C. elegans wird auch als Nematode bezeichnet und ist einer der primären Modellorganismen in der Alterungsforschung, da viele seiner Gene hochgradig konserviert sind oder artenübergreifend gefunden werden.

„Es ist ein so kleiner Organismus und trotzdem sind menschliche Gewebe, Signalwege und Genregulation ähnlich. Deshalb können wir die Ergebnisse vom Nematoden auf den Menschen übertragen“, sagt Stefanie Müthel, Erstautorin der Veröffentlichung und Postdoktorandin im Labor für Myologie des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Charité und MDC.

Als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Gen für LIN-53 entfernten, bewegten sich die Würmer weniger und lebten nicht so lange wie die Vertreter, die dieses Gen noch hatten.

Das zeigt, dass LIN-53 eine wichtige Rolle für eine gesunde Muskulatur und die Lebensspanne spielt. Das Team forschte weiter und entdeckte, dass LIN-53 die Entwicklung der Muskulatur durch den molekularen Komplex NuRD und die Lebensspanne durch einen anderen Komplex, Sin3, beeinflusst. Die Tatsache, dass LIN-53 an zwei unterschiedlichen Signalwegen beteiligt ist, ist besonders faszinierend und deutet nachdrücklich auf die Bedeutung von LIN-53 als Bindeglied zwischen Lebens- und Gesundheitsspanne hin.

„LIN-53 ist ein Teil von sieben unterschiedlichen molekularen Komplexen, die die Modifizierung und Struktur des Chromatins regulieren“, sagt Müthel. „Ich war überrascht und glücklich darüber, dass wir die Komplexe klar definieren konnten, die für die Gesundheits- und Lebensspanne von Bedeutung sind.”

Der gute Zucker

Weitere Analysen lieferten eine mögliche Erklärung dafür, warum LIN-53 so leistungsfähig ist. Tiere ohne LIN-53 hatten nur geringe Werte eines Zuckers, der als Trehalose bezeichnet wird. Er besteht aus zwei Glukosemolekülen und ist für eine normale Lebensspanne bei Wirbellosen unerlässlich. Die Interaktion zwischen LIN-53 und Sin3 betraf Gene, die den Stoffwechsel regulieren, einschließlich der Produktion dieses Zuckers. Um zu verstehen, wie genau LIN-53 mit NuRD und Sin3 interagiert und die Zuckerbildung hemmt, sind weitere Studien erforderlich.

Da das Protein LIN-53 und das menschliche Protein RBBP4/7 nahezu identisch sind, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Erkenntnisse, die sie mithilfe des mikroskopisch kleinen Wurms erlangt haben, als Wegweiser nutzen, um beim Menschen nach Antworten zu ähnlichen Fragen zu finden.

„Wir möchten alle gesund altern“, sagt Tursun. „Sobald wir die Zusammenhänge zwischen dem Altern und allen begleitenden nachteiligen Auswirkungen kennen, können wir überlegen, wie wir sie voneinander abkoppeln können.“ (pet)

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt, dem 1969 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde. Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und sie besser zu diagnostizieren, verhüten und wirksam bekämpfen zu können. Dabei kooperiert das MDC mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berlin Institute of Health (BIH) sowie mit nationalen Partnern, z.B. dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK), und zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen. Am MDC arbeiten mehr als 1.600 Beschäftigte und Gäste aus nahezu 60 Ländern; davon sind fast 1.300 in der Wissenschaft tätig. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Berlin finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. www.mdc-berlin.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Baris Tursun
Leiter des Labors „Genregulation und Zelltypspezifizierung in C. elegans“ am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-1730
Baris.Tursun@mdc-berlin.de


Originalpublikation:

Stefanie Müthel et al. (2019): “The conserved histone chaperone LIN-53 is required for normal lifespan and maintenance of muscle integrity in Caenorhabditis elegans” Aging Cell, https://doi.org/10.1111/acel.13012


Weitere Informationen:

https://www.mdc-berlin.de/tursun: AG Tursun


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch


Quelle: IDW