Entzündungswerte geben Hinweis auf Suizidalität



Teilen: 

22.10.2020 21:13

Entzündungswerte geben Hinweis auf Suizidalität

Chronische Entzündungen und Depressionen könnten eine gemeinsame genetische Ursache haben. Im Fokus jüngster Forschung steht der Entzündungsmarker Interleukin-6 (IL-6), der sich als potenzieller Risikofaktor für Suizidalität erwiesen hat.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

„Wir haben uns die Frage gestellt, ob Entzündungen einen gemeinsamen genetischen Hintergrund mit einzelnen depressiven Symptomen teilen und ob sie sogar für deren Entstehung mitverantwortlich sind“, erklärt Nils Kappelmann vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI) in München. Die Wissenschaftler des MPI, der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der University of Cambridge analysierten eine Reihe genetischer Varianten, die unter anderem mit erhöhten Entzündungswerten und dem Body-Maß-Index (BMI) als Marker für Übergewicht und Regulierungsstörungen des Stoffwechsels in Verbindung stehen. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal JAMA Psychiatry veröffentlicht. Das Team konnte die These bestätigen, dass Regulierungsstörungen des Immunsystems und des metabolischen Stoffwechsels eine gemeinsame genetische Basis mit depressiven Symptomen haben. So scheint ein hoher BMI ursächlich mit den vier Depressionssymptomen Freud- und Interessenslosigkeit, Appetitveränderungen, Erschöpfung und Unzulänglichkeitsgefühlen in Zusammenhang zu stehen. „Überrascht hat uns außerdem, dass erhöhte Entzündungswerte, speziell Interleukin-6 (IL-6), einen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für Suizidalität geben“, so Studienleiter Kappelmann. IL-6 spielt bei der Regulation des Immunsystems eine Schlüsselrolle und ist ein Marker für das Entzündungsgeschehen im Körper.

Immuntherapie statt Antidepressiva

Depressionen äußern sich bei Menschen ganz unterschiedlich mit teils widersprüchlichen Symptomen. Eine Subgruppe, die als immuno-metabolische Depression bezeichnet wird und circa ein Viertel aller Patienten umfasst, weist Regulierungsstörungen des Immunsystems und des Stoffwechsels auf. Diese Patienten sprechen in der Regel schlechter auf klassische Antidepressiva oder Psychotherapie an. Entzündungshemmer, wie IL-6-hemmende Medikamente, könnten deshalb ein neuer Ansatz zur medikamentösen Therapie der Depression und Prävention von Suizidalität für diesen Subtyp sein.
„Diese Erkenntnisse haben klinische Relevanz, da sie dazu beitragen können, frühzeitig jene Patienten zu identifizieren, die auf eine Immuntherapie besser ansprechen als auf Antidepressiva,“ sagt Elisabeth Binder, Direktorin des MPI. „Außerdem könnte die Behandlung von Suizidalität verbessert werden. Hierfür ist allerdings noch weitere klinische Forschung erforderlich.“


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Nils Kappelmann (nils_kappelmann@psych.mpg.de)


Originalpublikation:

10.1001/jamapsychiatry.2020.3436


Weitere Informationen:

https://www.psych.mpg.de/entzuendungen-suizidalitaet


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW