Erste Ergebnisse der Aerosol-Studie mit dem Chor des BR zu Corona-Ansteckungsrisiken beim Singen liegen vor



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03.07.2020 11:40

Erste Ergebnisse der Aerosol-Studie mit dem Chor des BR zu Corona-Ansteckungsrisiken beim Singen liegen vor

Wie hoch ist das Risiko, sich beim Chorsingen mit dem Corona-Virus zu infizieren? Wie lässt sich dieses Risiko reduzieren? Nach Ansteckungsfällen bei mehreren Chören hat der Bayerische Rundfunk für seine Klangkörper gemeinsam mit dem LMU Klinikum München und in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Erlangen (FAU) selbst eine aufwändige Testreihe durchgeführt. Nun liegen erste Teilergebnisse der wissenschaftlich noch unveröffentlichten Studie vor. Darin legen die beteiligten Wissenschaftler dar, unter welchen Gegebenheiten sie – mit Blick auf Abstände der Sänger zueinander und auf die raumklimatischen Verhältnisse – das Singen in Corona-Zeiten für gesundheitlich verantwortbar halten.

“Nach dem ersten Schock des Lockdowns und Prüfung der restriktiven Vorgaben sind wir zusammen mit unserem Betriebsarzt Dr. Benthaus schnell aktiv geworden, unter welchen Rahmenbedingungen und mit welchem Repertoire der künstlerische Betrieb wieder aufgenommen werden könnte – unter der Maßgabe, dass der Schutz und die Gesundheit unserer Chormitglieder oberste Priorität haben”, beschreibt Susanne Vongries, Managerin des Chores des BR, die Ausgangslage.

Da jedoch insbesondere zu Ansteckungsrisiken innerhalb von Gesangsensembles weltweit nur sehr wenig belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse existieren, suchte der BR fachlichen Rat bei Prof. Dr. Matthias Echternach, Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am LMU Klinikum München und selbst ausgebildeter Sänger.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Der Studienaufbau

Prof. Dr. Echternach konzipierte gemeinsam mit Dr.-Ing. Stefan Kniesburges, Strömungsmechaniker am Universitätsklinikum Erlangen (FAU), eine Studie, um die Abstrahlung und Verteilung sowohl von größeren Tröpfchen als auch von Kleinstpartikeln – den sogenannten Aerosolen – beim reinen Singen, beim Sprechen und beim Singen von Texten zu messen. Die Besonderheit: Im Gegensatz zu Studien, die sich auf Strömungsgeschwindigkeiten von Partikeln bezogen, wurden in diesen Versuchen die Ausbreitung und Verteilung der Tröpfchen und Aerosole im Raum näher untersucht.

Die Wissenschaftler bauten dazu im Studio 2 am BR-Standort Unterföhring zwei Versuchsanordnungen auf. In diesen beiden Settings ließen sie vom 20. bis 26. Mai 2020 jeweils zehn Probanden aus dem Chor des BR sowie zehn Bläserinnen und Bläser aus dem Symphonieorchester des BR nacheinander definierte Passagen in verschiedenen Lautstärken singen, sprechen und spielen. Die Datenauswertung zu den Messungen mit den Blasinstrumenten steht noch aus.

Aerosol-Wolken sichtbar gemacht und vermessen

Das erste Setting bestand aus Hochgeschwindigkeitskameras und Laser-Equipment, womit die Streuung der größeren Tröpfchen untersucht werden konnte: Wie werden sie von Mund und Instrument abgestrahlt, bei welchen Sprech- oder Gesangspassagen wird die größte Menge an Tröpfchen erzeugt?

Im zweiten Setting wurde mit Kameras und Weißlicht gearbeitet, um zu analysieren, wie die noch winzigeren Aerosole Mund und Nase verlassen und wie sich diese in den Raum ausbreiten. Um die Verteilung dieser Kleinstpartikel sichtbar zu machen, inhalierten die Probanden eine Trägerlösung von E-Zigaretten, die dann bei und nach der Stimmgebung im hellen Licht sichtbar war.

Fazit: Mehr Abstand nach vorne als zur Seite

Die Auswertung der Messungen über die abgestrahlten Aerosol-Wolken ergab: Zu ihren Kollegen nach vorne sollten die Chormitglieder einen größeren Abstand einhalten als zur Seite. Immer vorausgesetzt, dass der Raum permanent gelüftet wird und damit die Aerosole regelmäßig durch Frischluft entfernt werden. Besser wäre es zudem noch, wenn es zwischen den Sängerinnen und Sängern Trennwände gäbe.

“Wir haben nach vorne hin im Mittel Abstände von etwas weniger als einem Meter für den gesungenen Text gemessen, einige Sänger erreichten allerdings auch Weiten von 1 bis 1,5 Meter, so dass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von 2 bis 2,5 Meter sinnhafter erscheinen. Die Daten beziehen sich allerdings nur auf die direkte Ausbreitung durch den Eigenimpuls beim Singen. Für die Sicherheit der Sänger ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln“, sagt Matthias Echternach.

“Zur Seite hin fanden wir deutlich geringere Abstände als nach vorne, so dass die Abstände hier geringer gewählt werden könnten, etwa 1,5 Meter. Auch hier gilt die permanente Zufuhr von Frischluft, um die Aerosole aus der Luft zu entfernen”, so Stefan Kniesburges.

Singen mit Maske?

Tests mit Mundschutz ergaben, “dass wenn mit chirurgischen Masken gesungen wird, die großen Tröpfchen zwar komplett und die Aerosole zum Teil herausgefiltert werden, ein Teil der Aerosole aber leicht strahlartig nach oben und zur Seite austraten”, so Kniesburges – weil die Masken an den Seiten und der Nase nicht vollständig dicht abschließen. Singen mit Maske, so die Erkenntnis, wäre durch die Verminderung der Partikelaustritte eine Option, aber nicht wirklich für Profichöre, “weil ich sehr gut artikulieren muss und jede kleinste Nuance von Klang natürlich brauche”, so Echternach. Bei Kirchen- oder anderen Laienchören indes dürfte Singen mit Maske “schon einiges verhindern”.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Matthias Echternach
Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie,
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
LMU Klinikum München
Tel: +49 89 4400-73890
E-Mail: matthias.echternach@med.uni-muenchen.de

PD Dr.-Ing. Stefan Kniesburges
Phoniatrie und Pädaudiologie
Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie
Universitätsklinikum Erlangen
Tel: +49 9131 85 32616
E-Mail: stefan.kniesburges@uk-erlangen.de


Weitere Informationen:

https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/erste-ergebnisse-zu-aer…


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Musik / Theater
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch


Quelle: IDW