Erster hochauflösender Einzelzell-Atlas zum Lungenkarzinom



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15.11.2022 10:00

Erster hochauflösender Einzelzell-Atlas zum Lungenkarzinom

Kein Tumor gleicht dem anderen. Diese Unterschiedlichkeit und das komplexe Zu-sammenspiel von Tumor- und Immunzellen erschwert die Auswahl gezielter Im-muntherapien. Innsbrucker ForscherInnen haben nun 1,7 Milliarden Messungen von 1,3 Millionen Zellen aus 318 Lungenkrebs-PatientInnen analysiert und daraus einen Einzelzell-Atlas erstellt. Mit einer speziellen, in Innsbruck etablierten Einzelzell-Analyse gelang es zudem, neue Subtypen von spezifischen Immunzellen zu identifizieren. Damit wird es – vorerst für das Lungenkarzinom – möglich, das An-sprechen auf Immuntherapien besser vorherzusagen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Innsbruck, am 15.11.2022: Die Erforschung von Zellen ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung personalisierter Medizin. Für die Erstellung von Tumorprofilen wurden in den letzten Jahren zahlreiche innovative Technologien entwickelt und etabliert. Die Einzelzell-Sequenzierung (single cell RNA-sequencing) ermöglicht es etwa, einzelne Zellen zu se-quenzieren und jeweils individuell herauszufinden, welche Gene in der Zelle gerade akti-viert sind. Auf diese Weise lassen sich 10.000 Zellen pro PatientIn und rund 2.000 Gene pro Zelle analysieren, sodass ein detailliertes Tumorprofil entsteht. Weil für diese Methode stets frische Gewebeproben benötigt werden und das Verfahren teuer ist, gab es bisher nur von wenigen PatientInnen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) Einzel-zell-analysen.

Big Data macht’s möglich
Ein interdisziplinäres Team von Forschenden an der Medizinischen Universität Innsbruck ging nun einen Schritt weiter. „Wir haben alle Proben von PatientInnen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, die weltweit bereits sequenziert worden waren, gesammelt und in einem Atlas aufgelistet“, erklärt Studienautor Zlatko Trajanoski, Direktor des Insti-tuts für Bioinformatik am Innsbrucker Biozentrum. Der Schlüssel zum Erfolg bei diesem Forschungsprojekt lag in der engen Zusammenarbeit zwischen OnkologInnen und Mole-kularen MedizinerInnen aus dem Klinischen Bereich und führenden BioinformatikerInnen. Das Team um Zlatko Trajanoski zählt zu einer der wenigen Gruppen weltweit, die aus riesigen Datenmengen und bioinformatischen Analysen zielgerichtete Informationen für die Krebsimmuntherapie liefern können. Für die nun im Fachjournal Cancer Cell publizier-te Forschungsarbeit wurden 1,3 Millionen Zellen von 318 PatientInnen aus insgesamt 1,7 Milliarden Messungen integriert. Nun liegt ein Einzelzell-Atlas vor, der die Risikoberech-nung und die Vorhersagbarkeit des Therapieansprechens verbessert, von MedizinerInnen heruntergeladen und für die Therapieentscheidung genutzt werden kann.

Therapieentscheidend: Zelluläre Zusammensetzung des Tumors
Das Innsbrucker Team interessierte sich zudem für die Frage, ob auch die patientenspezi-fische, zelluläre Zusammensetzung des Tumors Einfluss auf das Ansprechen der Immun-therapie hat. Im Visier standen dabei neutrophile Granulozyten.
Bei Krebskranken ist eine vermehrte Zirkulation dieser spezifischen Immunzellen mit einer schlechten Prognose verbunden. In den vorhandenen Einzelzellanalysen wurden jedoch kaum Neutrophile nachgewiesen, da diese Zellart beim Einfrieren der Gewebeproben vor der Sequenzierung für gewöhnlich weitgehend zerstört wird. Die an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Hämatologie und Onkologie (Direktor Dominik Wolf) von Stefan Salcher etab-lierte Einzelzellanalyse mit spezifischer Neutrophilenbestimmung konnte hier Abhilfe schaffen. Mit dieser Technologie wurde eine zusätzliche Analyse in Gewebeproben von 17 Lungenkarzinom-Patientinnen und -Patienten, die am Comprehensive Cancer Center Innsbruck (CCCI) behandelt werden, durchgeführt. Damit erhärtete sich der Verdacht, dass Neutrophile eine besonders hohe Plastizität besitzen, also ihre Gestalt verändern, wenn sie in das Tumorgewebe eindringen. Dabei konnten zwei Subtypen von Neutrophi-len im normalen Gewebe und vier Subtypen im Tumorgewebe identifiziert werden. Einer dieser Subtypen im Tumorgewebe erweist sich überraschenderweise als anti-tumoral und könnte besonders vorteilhaft für das Ansprechen auf die Immuntherapie sein.

„Die präzise Bestimmung der zellulären Komposition des Tumors wird für die Therapiean-passung entscheidend sein“, resümiert Studienautor und Onkologe Andreas Pircher. Das nächste Ziel des Teams ist es, die Funktion neutrophiler Granulozyten im Lungenkrebs besser zu definieren und ihre Rolle in der Therapieresistenz zu beeinflussen. Auch soll der Einzelzell-Atlas auf andere Krebserkrankungen erweitert werden. Da im Rahmen solcher Projekte Millionen von Daten verarbeitet, integriert und analysiert werden müssen, ist die Zusammenarbeit und Nutzung von Ressourcen über Institutsgrenzen hinweg unabdingbar.

Hintergrund Krebsimmuntherapie
Die Immuntherapie ist in Kombination mit oder auch anstelle der klassischen Chemotherapie eine neue, selektiv hochwirksame Therapie-Säule in der Krebsmedizin. Gemeint sind neue Immunthera-pien, wie Checkpoint-Inhibitoren (blockierende Antikörper) oder CAR-T-Zellen, mit denen das kör-pereigene Immunsystem wieder gegen die Tumorzellen mobilisiert und aktiviert werden kann. Doch lediglich 20 bis 30 Prozent der KrebspatientInnen sprechen längerfristig auf die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren an. Gegenstand intensiver Forschung sind geeignete Vorhersagemodelle, mit denen die Treffsicherheit erhöht oder auch schwere Nebenwirkungen verhindert werden kön-nen.

Zur den Personen:
Der gebürtige Mazedonier Zlatko Trajanoski hat an der Technischen Universität Graz Biomedizini-sche Technik studiert. Nach einem PostDoc-Aufenthalt an der Yale University in New Haven, USA, und seiner Habilitation in Biomedizinischer Technik wurde er nach einem weiteren US-Forschungsjahr zum Universitätsprofessor für Bioinformatik an die Tu Graz berufen. 2010 folgte der Ruf nach Innsbruck, wo er am Biozentrum das Institut für Bioinformatik leitet. Sein Fokus liegt auf der Entschlüsselung von Tumor-Immunzell-Interaktion unter Verwendung von Computeransät-zen und der Entwicklung analytischer Werkzeuge für die Präzisions-Immunonkologie.

Andreas Pircher studierte in Innsbruck Medizin und absolvierte das PhD Studium molekulare Onkologie. Der gebürtige Südtiroler forschte nach der Ausbildung zum Facharzt der Inneren Medi-zin und Habilitation im Labor von Prof. Carmeliet (KU Leuven, Belgien). Seit seiner Rückkehr nach Innsbruck ist er Assistenzprofessor für experimentelle Hämatologie und Onkologie an der Univ.-Klinik für Innere Medizin V. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Charakterisierung der Tumor-Mikroumgebung mit Fokus auf der Interaktion von Blutgefäßen, Immunsystem und Tumorwachs-tum.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Univ.-Prof. Dipl.-Ing.Dr.techn. Zlatko Trajanoski
Institut für Bioinformatik, Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: Zlatko.Trajanoski@i-med.ac.at


Originalpublikation:

https://doi.org/10.1016/j.ccell.2022.10.008


Weitere Informationen:

https://www.i-med.ac.at/pr/presse/2022/50.html [Pressebilder zum Download]


Bilder

Aufnahme Fluoreszenzmikroskop: Neutrophile Granulozyten (pink), Lungenkrebs Tumore (blau und grün).

Aufnahme Fluoreszenzmikroskop: Neutrophile Granulozyten (pink), Lungenkrebs Tumore (blau und grün).
Stefan Salcher
MUI/Salcher

Stefan Salcher etablierte die Methode der Einzelzell-RNA-Sequenzierung für die spezifische Neutrophilenbestimmung .

Stefan Salcher etablierte die Methode der Einzelzell-RNA-Sequenzierung für die spezifische Neutrophi
David Bullock
MUI/Bullock


Anhang

attachment icon Bioinformatiker Zlatko Trajanoski


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch


 

Quelle: IDW