„Explosion im Krebsgenom”: viel häufiger als angenommen

„Explosion im Krebsgenom”: viel häufiger als angenommen


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04.06.2020 09:48

„Explosion im Krebsgenom”: viel häufiger als angenommen

Chromothripsis ist eine Form der Genominstabilität, bei der ein oder einige wenige Chromosomen in einem vermutlich einmaligen katastrophalen Ereignis geradezu „explodieren”. Die Chromothripsis tritt nach bisheriger Meinung zu Beginn der Tumorentwicklung auf und spielt eine wichtige Rolle bei der Krebsentstehung. Galt das Phänomen bislang als eher selten, so zeigten Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum nun, dass Chromothripsis bei nahezu der Hälfte aller Tumoren nachweisbar ist.

Das erst seit etwa zehn Jahren bekannte Schadensbild der „Chromothripsis“ unterscheidet sich von bisher bekannten Erbgutdefekten in Tumorzellen: Abschnitte eines oder einiger weniger Chromosomen sind an unzähligen Stellen zerbrochen und regelwidrig wieder zusammengebaut, so dass ganze Erbgutabschnitte fehlen, andere dagegen vervielfältigt oder in falscher Orientierung eingebaut sind.

Bislang wurde angenommen, dass dieses Erbgut-Desaster nur bei zwei bis drei Prozent der Krebsfälle auftritt. Doch Wissenschaftler um Aurélie Ernst am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zeigen nun in einer aktuellen Arbeit mithilfe hochempfindlicher Analysemethoden, dass die Häufigkeit der Chromothripsis bislang erheblich unterschätzt wurde. In Zusammenarbeit mit dem NCT/DKTK MASTER-Programm untersuchten die DKFZ-Forscher 634 Tumorproben von 28 Krebsarten, die alle wichtigen Krebserkrankungen bei Erwachsenen abdecken. Dabei fanden sie die Spuren der Chromosomen-Explosion bei 49 Prozent aller untersuchten Patienten.

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Besonders häufig betroffen waren Tumoren von Patienten, die bereits von ihren Eltern eine Mutation geerbt haben, die für die Krebsentstehung disponiert. Außerdem trat bei den verschiedenen Krebsarten Chromothripsis in bestimmten Chromosomenregionen häufiger auf, als es der reinen Zufallsverteilung entspricht. Daraus schließen die Forscher, dass in diesen Fällen die Chromosomen-Explosion den Zellen einen Überlebensvorteil verschafft.

Darüber hinaus erhielten die Wissenschaftler wesentliche Einblicke in die Evolution der Tumoren: Bislang hatten sie vermutet, dass Chromothripsis in der Regel ganz am Anfang des Tumorgeschehens auftritt oder die Krebsentstehung sogar initiiert. Doch die aktuellen Ergebnisse zeichnen ein anderes Bild: Bei Patienten, von denen im Verlauf der Krebserkrankung mehrfach Tumorproben gewonnen wurden, zeigte sich, dass teilweise nur einzelne Subklone von dem chromosomalen Desaster befallen waren. In wieder anderen Fällen fanden die Forscher Chromothripsis erst beim Tumorrückfall, nicht aber im Primärtumor.

Hohe klinische Relevanz hat die Beobachtung, dass es nach der Chromosomen-Explosion häufig zu Fusionen von Chromosomenstücken kommt, die die Tumorentwicklung vorantreiben. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass ein wachstumstreibendes Gen durch die Fusion unter den Einfluss eines starken Aktivators gerät. „Es gibt inzwischen bereits eine Reihe von Fachpublikationen, die zeigen, dass man in solchen Fällen manchmal mit zielgerichteten Medikamenten das Tumorwachstum aufhalten kann”, erklärt Studienleiterin Aurélie Ernst.

The landscape of chromothripsis across adult cancer types. Voronina N, Wong JKL, Hübschmann D, Hlevnjak M, Sebastian Uhrig S, Heilig CE, Horak P, Kreutzfeldt S, Mock A, Stenzinger A, Hutter B, Fröhlich M, Brors B, Jahn A, Klink B, Gieldon L, Sieverling L, Feuerbach L, Priya Chudasama P, Beck K, Kroiss M, Heining C, Möhrmann L, Fischer A, Schröck E, Glimm H, Zapatka M, Lichter P, Fröhling S and Ernst A.
Nature Communications 2020, DOI: 10.1038/s41467-020-16134-7

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Ansprechpartner für die Presse:

Dr. Sibylle Kohlstädt
Pressesprecherin
Kommunikation und Marketing
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
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E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
E-Mail: presse@dkfz.de
www.dkfz.de


Originalpublikation:

The landscape of chromothripsis across adult cancer types. Voronina N, Wong JKL, Hübschmann D, Hlevnjak M, Sebastian Uhrig S, Heilig CE, Horak P, Kreutzfeldt S, Mock A, Stenzinger A, Hutter B, Fröhlich M, Brors B, Jahn A, Klink B, Gieldon L, Sieverling L, Feuerbach L, Priya Chudasama P, Beck K, Kroiss M, Heining C, Möhrmann L, Fischer A, Schröck E, Glimm H, Zapatka M, Lichter P, Fröhling S and Ernst A.
Nature Communications 2020, DOI: 10.1038/s41467-020-16134-7


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW