Frühwarnsystem für Demenz



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03.02.2022 09:32

Frühwarnsystem für Demenz

Alzheimer und andere Demenzerkrankungen gehören heute zu den grossen Volksleiden. Die Diagnose ist aufwändig und wird oft erst spät im Krankheitsverlauf zweifelsfrei gestellt. Ein Forscherteam der Empa entwickelt nun gemeinsam mit klinischen Partnern eine neue Diagnose-Methode zur Früherkennung von neurodegenerativen Veränderungen über einen Sensor-Gurt.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Vergesslichkeit und Verwirrtheit können Anzeichen für ein bisher unheilbares Leiden sein: die Alzheimer Krankheit. Sie ist die häufigste Demenzerkrankung, die derzeit insgesamt rund 50 Millionen Menschen weltweit betreffen. Es erkranken vor allem ältere Menschen. Dass diese Zahl künftig stark zunehmen wird, hängt daher auch mit der allgemein steigenden Lebenserwartung zusammen.

Soll ein Verdacht auf Demenz abgeklärt werden, stehen für die Betroffenen neuropsychologische Untersuchungen, Labortests und aufwändige Prozeduren im Spital an. Doch bereits Jahrzehnte bevor eine verminderte Denkleistung auffällt, sind erste neurodegenerative Veränderungen im Gehirn nachweisbar. Derzeit lassen sich diese lediglich durch teure oder invasive Verfahren feststellen. Für ein ausgedehntes frühzeitiges Screening im grösseren Massstab eignen sich diese Methoden daher nicht. Empa-Forschende arbeiten gemeinsam mit Partnern des Kantonsspital und der Geriatrischen Klinik St. Gallen an einer nicht-invasiven Diagnose-Methode zur frühzeitigen Erkennung von Symptomen einer Demenzerkrankung.

Anzeichen im Unbewussten

Für das neue Verfahren baute das Forscherteam um Patrick Eggenberger und Simon Annaheim vom «Biomimetic Membranes and Textiles» Labor der Empa in St. Gallen auf einen Sensor-Gurt, der bereits erfolgreich für EKG-Messungen eingesetzt und nun mit Sensoren für weitere relevante Parameter wie Körpertemperatur und Gangmuster ausgerüstet wurde. Denn bevor bei einer Demenz das Erinnerungsvermögen nachlässt, tauchen feinste Veränderungen im Gehirn auf, die sich über das autonome Nervensystem, das unbewusste Körpervorgänge steuert, äussern.

Für die präzise Erfassung von Veränderungen dieser Parameter werden Messungen über einen längeren Zeitraum benötigt. «Die Langzeitmessungen sollten in den Alltag integrierbar sein», betont Simon Annaheim. Für alltagstaugliche Messungen sind hautverträgliche und komfortable Messsysteme unabdingbar. Der Diagnostik-Gurt basiert daher auf flexiblen Sensoren mit elektrisch leitfähigen bzw. lichtleitenden Fasern sowie Sensoren für Bewegungs- und Temperaturmessung.

Damit derartigen Langzeitmessungen für die Kontrolle der kognitiven Gesundheit genutzt werden können, werden die erfassten Daten von den Forschenden in eigens entwickelte mathematische Modelle integriert. Das Ziel: ein Frühwarnsystem, das den Verlauf von kognitiven Einschränkungen abschätzen kann. Ein weiterer Vorteil: Die Datenmessungen lassen sich in Telemonitoringlösungen einbinden und können so die Patientenbetreuung in einer gewohnten Umgebung verbessern.

Verdächtige Monotonie

Grundsätzlich ist der menschliche Körper in der Lage, seine Temperatur im Bereich von 1 Grad Celsius konstant zu halten. Im Tagesverlauf treten chrakteristische Schwankungen dieser Werte auf. Dieser tägliche Rhythmus ändert sich im Alter und ist bei neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz oder Parkinson auffällig. Bei Alzheimer-Patienten ist beispielsweise die Körperkerntemperatur um bis zu 0.2 Grad Celsius erhöht. Gleichzeitig sind die Ausschläge der täglichen Temperaturschwankungen gedämpft.

In einer aktuellen Studie konnten die Forschenden nun zeigen, dass mit dem Sensor-Gurt gemessene veränderte Hauttemperaturwerte tatsächlich einen Hinweis auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Testpersonen geben – und zwar bevor eine Demenzerkrankung auftritt. Unter den Testpersonen der Studien waren gesunde Menschen mit oder ohne leichte Hirnleistungsstörung. Diese milde kognitive Beeinträchtigung (engl. mild cognitive impairment, MCI) stellt keine Behinderung im Alltag dar, sie gilt aber als eine mögliche Vorstufe von Alzheimer. Die Versuchspersonen nahmen an Langzeitmessungen und an neuropsychologischen Tests teil. Es stellte sich heraus, dass eine niedrigere Körpertemperatur, die über den Tag stärker schwankt, mit einer besseren Hirnleistung verknüpft war. Bei Personen mit MCI variierte die Körpertemperatur weniger und war insgesamt leicht erhöht.

Die geistige Fitness trainieren

Auch der Herzschlag ist natürlichen Schwankungen unterworfen, die zeigen, wie sich unser Nervensystem an momentane Herausforderungen anpasst. Die kleine Stille zwischen zwei Herzschlägen, rund eine Sekunde kurz, hat grosse Aussagekraft für unsere Gesundheit: Bleibt die Pause stets gleich, ist das Nervensystem nicht in Höchstform.

In einer Studie von Forschenden der ETH Zürich wurde ermittelt, dass sich schlechtere Messwerte bei älteren, gesunden Menschen durch ein kognitiv-motorisches Tanztraining innerhalb von sechs Monaten verbessern liessen. Die Versuchspersonen tanzten bei diesen «Exergames» Schrittfolgen eines Videos nach. Teilnehmende, die stattdessen lediglich geradeaus auf einem Laufband trainierten, zudem aber ihr Gedächtnis schulten, profitierten dagegen weniger.

«Es geht darum, mit einem geeigneten Training frühzeitig einzugreifen, sobald sich erste negative Anzeichen messen lassen», sagt Patrick Eggenberger. «Mit unserem Sensor-System lassen sich allfällige Verbesserungen der kognitiven Leistung durch bewegungsbasierte Therapieformen verfolgen.» Über Studien mit Langzeitmessungen soll nun geklärt werden, wie sich anhand der Sensor-Messungen der Verlauf von milden Hirnleistungsstörungen vorhersagen lässt.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Simon Annaheim
Biomimetic Membranes and Textiles
Tel. +41 58 765 77 68
Simon.Annaheim@empa.ch


Originalpublikation:

P Eggenberger, M Bürgisser, RM Rossi and Simon Annaheim; Body Temperature Is Associated With Cognitive Performance in Older Adults With and Without Mild Cognitive Impairment: A Cross-sectional Analysis; Front. Aging Neurosci. (2021)

https://doi.org/10.3389/fnagi.2021.585904


Weitere Informationen:

https://www.empa.ch/web/s604/alzheimer-diagnostik Link zur Medienmitteilung auf www.empa.ch
https://plus.empa.ch/images/2022-02-03-Alzheimer-Diagnostik-grosse%20Bilder/ Bilder in hoher Auflösung zum Download hier


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW