Genetisches Erbe aus der Steinzeit beeinflusst unsere Chance, lange zu leben



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12.04.2023 17:07

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Genetisches Erbe aus der Steinzeit beeinflusst unsere Chance, lange zu leben

Forschende der Uni Kiel haben die Evolutionsgeschichte des Langlebigkeitsgens APOE untersucht. Dazu analysierten sie Daten, die aus bis zu 12.000 Jahre alten menschlichen Skeletten gewonnen wurden.

Einen sehr großen Einfluss auf die Lebenserwartung hat unser Lebensstil, also zum Beispiel, ob wir uns viel oder wenig bewegen, rauchen oder übergewichtig sind. Auch andere äußere Faktoren wie soziale Kontakte, Umweltbedingungen oder Bildung sind wichtig. Darüber hinaus bestimmen auch unsere Gene mit, wie lange wir leben. Langlebigkeit beim Menschen heißt, bei relativ guter Gesundheit 95 Jahre und älter zu werden. „Den höchsten genetischen Beitrag zur Langlebigkeit haben Variationen im APOE-Gen“, sagt Professorin Almut Nebel vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).

Das APOE-Gen liefert den Bauplan für Apolipoprotein E (APOE), das als Bestandteil von Lipoproteinen eine wichtige Rolle im Fettstoffwechsel spielt. Relevant für die Langlebigkeit sind die drei Varianten ε2, ε3 und ε4. APOE ε4 ist mit einem sehr hohen Risiko für die Alzheimer Erkrankung verbunden und kann folglich die Lebenserwartung verkürzen. APOE ε2 dagegen erhöht die Chance langlebig zu werden und ε3 gilt als neutral.

In Europa sind die drei Varianten recht ungleich verteilt, so nimmt die Häufigkeit der ungünstigen Variante ε4 von Norden (22 Prozent) nach Süden (6 Prozent) hin ab. Auch die ε2 und ε3 Frequenzen variieren geografisch stark, wobei ε3 in der Regel die häufigste (mindestens 70 Prozent) und ε2 die seltenste Variante in einer Bevölkerung ist (maximal 12 Prozent). Wie es zu dieser Verteilung kam, hat ein Forschungsteam um Professorin Nebel erstmals mittels der Paläogenetik untersucht. Die Ergebnisse veröffentlichten sie vor Kurzem in der Fachzeitschrift Aging Cell. „Wir konnten zeigen, dass die heutige Verteilung der Varianten in Europa vor allem durch zwei große Einwanderungen vor 7.500 Jahren und vor 4.800 Jahren und den anschließenden Vermischungen von Bevölkerungsgruppen entstanden ist“, berichtet Erstautor Daniel Kolbe aus Nebels Arbeitsgruppe. „Die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa können im Großen und Ganzen durch diese beiden demografischen Prozesse erklärt werden“, sagt Kolbe, der im Graduiertenkolleg (GRK) Translationale Evolutionsforschung (TransEvo) an der CAU promoviert.

Diese Erkenntnis ist neu. Bisher wurden die verschiedenen Häufigkeiten der drei Genvarianten hauptsächlich auf natürliche Selektion zurückgeführt. Diese Vermutung beruhte auf genetischen Daten heute lebender Menschen. „In unserer Arbeit haben wir DNA-Sequenzen aus archäologisch gut datierten Skeletten einbezogen. Diese erlauben uns, eine Zeitreise zu unternehmen und damit den möglichen Einfluss von Ereignissen in der Vergangenheit direkt zu erforschen“, so Kolbe. In die Auswertung flossen über 358 Datensätze von Knochenproben ein, die bis zu 12.000 Jahre alt sind. Daraus wurden die Häufigkeiten der APOE-Varianten in verschiedenen prähistorischen und mittelalterlichen Populationen Europas berechnet. Überraschenderweise hatten, laut Kolbe, die mobilen Jäger und Sammler der Steinzeit eine hohe Frequenz der aus heutiger Sicht schädlichen ε4 Variante (etwa 40 Prozent), während ε2 nicht nachweisbar war. Die ersten sesshaften Bauern hingegen wiesen eine sehr niedrige ε4-Frequenz (etwa 4 Prozent) auf und eine hohe ε3-Frequenz (etwa 91 Porzent).

„Diese Unterschiede sind wahrscheinlich als Anpassungen an die spezifischen Ernährungs- und Lebensweisen der beiden Gruppen entstanden“, so Kolbe. Aus modernen Studien ist bekannt, dass körperliche Aktivität das Risiko von ε4-Trägern für die Alzheimer Erkrankung verringern kann. „Ob die Jäger und Sammler aufgrund von ε4 auch an der Alzheimer Erkrankung litten, werden wir wohl nie wissen. Aber es könnte sein, dass sie der schlechten Variante im wahrsten Sinne des Wortes davongelaufen sind, da sie täglich lange Strecken zu Fuß zurückgelegt haben“, erklärt Kolbe. „Unsere Studie unterstützt damit die Empfehlung, dass sich ein aktiver Lebensstil auszahlt, vor allem für die rund 15 Prozent der Deutschen, welche die ε4 Variante haben“. Im Gegensatz dazu scheinen ε2 und ε3 einen Vorteil für die ersten bäuerlich lebenden Menschen dargestellt zu haben. APOE ε2 könnte zu einer besseren Verdauung von stärkereicher Ernährung beigetragen haben, die häufig auf dem Speiseplan der Menschen stand, die Landwirtschaft betrieben haben. APOE ε3 wiederum begünstigte wahrscheinlich die Speicherung von Kalorien in Form von Fett als Reserve für schlechte Zeiten. Diese spezifischen Anpassungen stehen wohl nicht im Zusammenhang mit Langlebigkeit, die möglicherweise ein modernes Phänomen ist.

Die Studie untermauert, wie wichtig evolutionsbiologische Forschungsansätze für viele Herausforderungen der Neuzeit sind: „Unsere Ergebnisse zeigen, wie eine ungünstige genetische Prädisposition durch einen angepassten Lebensstil kompensiert werden kann, in diesem Falle ist dies vor allem für die alternde Bevölkerung heutzutage relevant“, erklärt Letztautorin Nebel, die schon lange die molekularen Grundlagen der Langlebigkeit erforscht.

Fotos stehen zum Download bereit:
http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/motivbilder/sport-im-alter-02.jpg
Motivbild. Sportlich aktive Menschen haben gute Chancen, gesund zu altern, auch ohne Langlebigkeitsgen.
© Photo by Direct Media on StockSnap

http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/portraitbilder/daniel-kolbe.jpg
Doktorand Daniel Kolbe hat mittels paläogenetischer Daten die Evolutionsgeschichte des Langlebigkeitsgens APOE untersucht
© privat

http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/portraitbilder/almut-nebel.jpg
Professorin Almut Nebel leitet die Arbeitsgruppe Langlebigkeit am Institut für Klinische Molekularbiologie der CAU
© Christina Kloodt, Uni Kiel

Über das GRK TransEvo
Das Graduiertenkolleg TransEvo ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Graduiertenkolleg GRK 2501) gefördertes Graduiertenkolleg an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Ziel ist es, die Relevanz evolutionärer Prinzipien für angewandte Probleme zu untersuchen und zu fördern. Unbeabsichtigte Folgen menschlicher Eingriffe resultieren oft aus Handlungen, die die natürliche Auslese beeinflussen, zum Beispiel der Einsatz von Antibiotika oder Krebsmedikamenten in der Medizin, von Pestiziden in der Landwirtschaft oder menschliche Eingriffe in die Ökosysteme der Erde. Überraschenderweise werden evolutionäre Konzepte nur selten genutzt, um unser Verständnis für diese angewandten Herausforderungen zu verbessern und neue nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Das übergreifende Ziel des Graduiertenkollegs TransEvo ist es, bei Doktoranden zwei Hauptkompetenzen zu schulen: die Nutzung von Wissen und Konzepten aus der evolutionsbiologischen Grundlagenforschung, um unser Verständnis für aktuelle Herausforderungen in angewandten Bereichen zu verbessern, und die Nutzung der neu gewonnenen Erkenntnisse, um unser Verständnis der Evolution zu bereichern.

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Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Daniel Kolbe
Institut für Klinische Molekularbiologie, CAU
Arbeitsgruppe Longevity Ancient DNA Research
Tel.: 0431- 500-15123
E-Mail: d.kolbe@ikmb.uni-kiel.de

Prof. Almut Nebel
Institut für Klinische Molekularbiologie, CAU
Arbeitsgruppe Longevity Ancient DNA Research
Tel.: 0431- 500-15155
E-Mail: a.nebel@mucosa.de


Originalpublikation:

Kolbe D, da Silva NA, Dose J, Torres GG, Caliebe A, Krause-Kyora B, Nebel A. Current allele distribution of the human longevity gene APOE in Europe can mainly be explained by ancient admixture. Aging Cell. 2023 Mar 23:e13819. https://doi.org/10.1111/acel.13819


Weitere Informationen:

http://www.ikmb.uni-kiel.de/research/longevity-ancient-dna-research
https://transevo.de
http://www.kls.uni-kiel.de


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Geschichte / Archäologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW