In einer frühmittelalterlichen Siedlung lauerten gefährliche Krankheitserreger hinter jeder Ecke



Teilen: 

13.12.2022 13:18

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

In einer frühmittelalterlichen Siedlung lauerten gefährliche Krankheitserreger hinter jeder Ecke

Die Analyse von DNA aus 1300 Jahre alten Skeletten erlaubte die Rekonstruktion des Gesundheitszustands der merowingerzeitlichen Gemeinschaft in in Lauchheim “Mittelhofen” im heutigen Baden-Württemberg. Die heute in der internationalen Fachzeitschrift Genome Biology erschienene Studie zeigt eine hohe Infektionshäufigkeit mit verschiedenen Erregern. Die Ergebnisse lassen auch allgemeine Schlüsse auf die Anfälligkeit für Infektionen in Zeiten klimatischer Änderungen zu.

Mangelnde persönliche Hygiene, krankheitsübertragende Ratten und allgemeine ungesunde Lebensumstände – das Mittelalter wird gemeinhin als ein Zeitalter allgegenwärtiger Krankheiten angesehen. Der größte Teil unseres Wissens über mittelalterlichen Epidemien bezieht sich allerdings auf das Spätmittelalter nach dem 12. Jahrhundert n. Chr. Im Gegensatz dazu sind die Infektionshäufigkeit im Frühmittelalter sowie die Erreger, die für die Krankheitsausbrüche dieser Zeit verantwortlich waren, noch weitgehend unerforscht. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat jetzt mit neuesten Analyse-Techniken für alte DNA Hinweise für eine hohe Belastung durch Infektionskrankheiten in der frühmittelalterlichen Siedlung Lauchheim „Mittelhofen“ (Baden-Württemberg) gefunden. Die Studie erscheint heute in der internationalen Fachzeitschrift Genome Biology.

Analyse offenbart verschiedene Krankheitserreger in den Skeletten

Die Forscherinnen und Forscher konnten für die Studie DNA aus 70 menschlichen Skeletten isolieren, welche innerhalb der Siedlung bestattet wurden. Die Gräber liegen in der Nähe von Gehöften und wurden in die späte Merowingerzeit (7.-8. Jahrhundert n. Chr.) datiert. „Die Analyseergebnisse zeigen, dass die Bewohner an Infektionen mit verschiedenen Krankheitserregern litten, darunter das Mycobacterium leprae, das Hepatitis-B-Virus, kurz: HBV, das Parvovirus B19 und das Variola-Virus VARV“, berichtet der Leiter des Forschungsteams, Prof. Dr. Ben Krause-Kyora vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU und Mitglied im Exzellenzcluster ROOTS.

Die in Lauchheim nachgewiesenen Infektionserreger verursachen sowohl chronische als auch akute Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrades. Eine Infektion mit M. leprae kann zur Entwicklung einer hartnäckigen und stark beeinträchtigenden Lepra führen. Die Symptome einer HBV-Infektion reichen von leichten Bauchschmerzen und Fieber bis hin zu Leberfibrose und sogar Leberkrebs. B19 scheint weniger gefährlich zu sein, da die Infektion in der Regel asymptomatisch verläuft und schwere Komplikationen selten sind.

Im Gegensatz dazu verursachte das Variola-Virus bis zur seiner Ausrottung im Jahr 1980 die Pocken – eine akute Krankheit mit hoher Sterblichkeit. „Aufgrund der genetischen Unterschiede zwischen dem modernen und dem mittelalterlichen VARV können wir jedoch nicht sagen, wie die Symptome der Infektion im Mittelalter aussahen und ob der Erreger so gefährlich war wie das moderne Variola-Virus“, so Prof. Dr. Krause-Kyora.

Viele Menschen litten sogar unter mehreren Infektionen

Die Autorinnen und Autoren stellten eine erhebliche Anzahl von Koinfektionen mit zwei oder sogar drei verschiedenen Erregern fest. Insgesamt konnten bei 31 Prozent der untersuchten Individuen genetische Spuren von mindestens einem Erreger gefunden werden. „Obwohl diese Zahl sehr hoch ist, spiegelt sie nicht die Krankheitslast zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Die Datierung der Gräber deutet darauf hin, dass das Gräberfeld etwa ein Jahrhundert lang genutzt wurde, also drei bis vier Generationen. Das muss bei der Interpretation berücksichtigt werden“, so Joanna Bonczarowska vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU, Erstautorin der Studie.

Dennoch glauben die Forscher, dass ihre Berichte die wahre Häufigkeit der Infektion in Lauchheim wahrscheinlich unterschätzen. Krause-Kyora erklärt das so: „Wenn alle Weichteile zerstört sind, können in den Knochen nur noch durch Blut übertragene Krankheitserreger zuverlässig nachgewiesen werden. Berücksichtigt man diese Einschränkung zusammen mit dem Abbau von DNA-Molekülen, der im Laufe der Zeit stattfindet, blieben einige Infektionen wahrscheinlich unentdeckt.“

Allgemein schlechter Gesundheitszustand und klimatischer Wandel

Die frühmittelalterlichen Menschen in Lauchheim waren im Allgemeinen in einem schlechten Gesundheitszustand, da ihre Skelette Anzeichen von Infektionen und/oder einer unzureichenden Ernährung aufwiesen. Eine der Hauptautorinnen, Prof. Almut Nebel vom Institut für klinische Molekularbiologie der CAU, erklärt: „Zu dieser Zeit erlebte Europa einen rapiden Klimaverfall, der als spätantike kleine Eiszeit bekannt ist. Klimaveränderungen können zu Ernteausfällen und schließlich zu Hungersnöten führen“. Die Unterernährung erhöhte möglicherweise den physiologischen Stress der Menschen. „Theoretisch würde eine Hungersnot die unterernährte Bevölkerung schwächen und die Verbreitung von Krankheitserregern in der Gemeinschaft erleichtern. Diese Menschen waren in einem sehr schlechten Gesundheitszustand, und die Bedingungen schienen die Ausbreitung von Krankheiten und die Entwicklung von Krankheitserregern zu begünstigen“, fügt Professorin Nebel hinzu.

Die Studie bietet eine neue Perspektive auf die Belastung durch Infektionskrankheiten in einer Gemeinschaft, welche in einer Zeit lebte, die durch eine hohe Exposition gegenüber Krankheitserregern, einen raschen kulturellen Wandel und große klimatische Veränderungen gekennzeichnet war. Diese Bedingungen lassen sich bis zu einem gewissen Grad auf die heutige Zeit übertragen – in Zeiten neu aufkommender, wieder zurückkehrenden Infektionskrankheiten und des Klimawandels.

“Diese Studie ist darüber hinaus eine gutes Beispiel für die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen an der CAU. Hier sind Expertise und Mittel des Sonderforschungsbereichs 1266, des Exzellenzclusters ROOTS und des Exzellenzclusters Präzisionsmedizin zusammengekommen, um mehr über die Geschichte der menschlichen Krankheiten zu erfahren und daraus mögliche Lehren für uns heute zu ziehen”, resümiert Ben Krause-Kyora.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Ben Krause-Kyora
Institut für klinische Molekularbiologie der CAU
0431 500-15142
b.krause-kyora@ikmb.uni-kiel.de


Originalpublikation:

Bonczarowska et al.: Pathogen genomics study of an early medieval community in Germany reveals extensive co‑infections. Genome Biology, https://doi.org/10.1186/s13059-022-02806-8


Weitere Informationen:

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/201-fruehmittelalterliche-siedlung Pressemitteilung auf den Seiten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit weiterem Bildmaterial
https://www.sfb1266.uni-kiel.de/de Der Sonderforschungsbereich 1266
https://www.precisionmedicine.de/de/ Der Exzellenzcluster Precision Medicine in Chronic Inflammation (PMI)


Bilder

Schädel aus Grab 83 in Lauchheim "Mittelhofen". An diesem Individuum konnte das Team gleich drei Infektionen nachweisen.

Schädel aus Grab 83 in Lauchheim “Mittelhofen”. An diesem Individuum konnte das Team gleich drei Inf
Isabelle Jasch-Boley


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Geschichte / Archäologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW