Kalziumwellen bewegen Zellen zum Wundverschluss



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06.05.2022 11:13

Kalziumwellen bewegen Zellen zum Wundverschluss

Erleidet die äußere Hautschicht eine Verletzung, so sorgt Kalzium dafür, dass sich das Zellskelett in den Zellen rund um die Wunde nicht versteift. Die größere Beweglichkeit ermöglicht es dem Gewebe dann, die Wunde schnell zu verschließen. Das hat eine Forschungsgruppe um den Physiologieprofessor Dr. Sven Bogdan von der Philipps-Universität Marburg herausgefunden. Das Team berichtet im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ über seine Ergebnisse.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Nahezu alle tierischen Zellen benötigen das Gerüstprotein Aktin, um ein Zellskelett zu bilden, das die Form der Zelle und deren Beweglichkeit kontrolliert. Falls nötig, lagern sich Aktin-Fäden zu Verstrebungen zusammen, um Ausstülpungen oder Zellfortsätze zu bilden. „Kalziumwellen gelten als wichtiges Signal, das auf das Aktin-Zellskelett einwirkt“, erklärt Studienleiter Sven Bogdan; „aber die zugrundeliegenden Mechanismen sind nach wie vor schlecht verstanden.“

Das Team stellte fest, dass das Protein Swip-1 dafür sorgt, Aktin-Fäden miteinander zu vernetzen. „Um ihre Beweglichkeit zu erhalten, sind die Zellen aber auch in der Lage, stark vernetzte Gerüste in schwach vernetzte, viskose Netzwerke umzuwandeln“, sagt der Physiologe.

Wie schaffen die Zellen es, umzuschalten? Um das herauszufinden, entwickelten Bogdan und sein Team einen Versuchsaufbau, in dem sie mit einem Schneidelaser einzelne Zellen aus dem Gewebe eliminieren können; was passiert anschließend in den übrig gebliebenen Nachbarzellen am Wundrand?

„Die Verwundung verändert die Lage dramatisch“, berichtet Bogdans Mitarbeiterin Franziska Lehne, die Erstautorin des Fachaufsatzes: Wie ein Video der Forschungsgruppe zeigt, überschwemmt als erstes eine Kalziumwelle das Gewebe. Dann beginnen Zellen am Wundrand damit, die Wunde zu schließen. „In den ersten Minuten sammelt sich in diesen Zellen der Gerüstbaustein Aktin, um breite Ausstülpungen zu bilden, sogenannte Lamellipodien“, schildert Lehne das Geschehen.

Danach bündeln sich Aktin-Fäden eher am Wundrand und verkürzen sich, so dass Zellen in Richtung der Wunde gezogen werden und diese verschließen wie einen Reisverschluss. Die Forschungsgruppe klärte auch den Mechanismus auf, der in der Fruchtfliege wie beim Menschen die Aktin-Vernetzung steuert: Demnach verknüpft Swip-1 die Aktin-Fäden viel weniger stark, wenn Kalzium vorhanden ist, als wenn es fehlt.

„Unsere Daten zeigen, dass Kalzium das Vernetzungsprotein Swip-1 davon abhält, das Aktin-Gerüst im Zellinneren zu versteifen“, fasst Bogdan zusammen; „diese schnelle Umorganisation der bestehenden Aktin-Netzwerke treibt den Wundverschluss voran.“

Professor Dr. Sven Bogdan lehrt Physiologie und Pathophysiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich die Universität Göttingen sowie die Medizinische Hochschule Hannover an der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Arbeit. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell.

Originalveröffentlichung: Franziska Lehne & al.: Calcium bursts allow rapid reorganization of EFhD2/Swip-1 cross-linked actin networks to drive epithelial wound closure, Nature Communications 2022, DOI: 10.1038/s41467-022-30167-0

Video M12: Kaum zerstört ein Lasereingriff eine einzelne Zelle in der Haut einer Fliege, überschwemmt eine Kalziumwelle das umliegende Gewebe.
Video M10: Während die Wunde zuwächst, sammelt sich Aktin an deren Rand.
Download: http://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2022/kalziumwellen-bewegen-zellen-zum-wundverschluss (Videos: Sven Bogdan; die Videos dürfen nur für die Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden)

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Sven Bogdan,
Abteilung Molekulare Zellphysiologie
Institut für Physiologie und Pathophysiologie
Tel.: 06421 28-26 816
E-Mail: sven.bogdan@staff.uni-marburg.de
Homepage: https://www.uni-marburg.de/fb20/physiologie/ags/bogdan


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW