Krebs des Thymus: Forschende klären den Ursprung einer seltenen Erkrankung



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09.11.2022 10:00

Krebs des Thymus: Forschende klären den Ursprung einer seltenen Erkrankung

Der Thymus ist lebenswichtig für die Abwehr von Infektionskrankheiten sowie Krebs. In seltenen Fällen kann in dem unscheinbaren Organ des Immunsystems ein Tumor entstehen, über dessen Entwicklung wenig bekannt ist. Forschende des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg haben nun das erste Tiermodell entwickelt, um dem Ursprung des Thymuskrebses auf die Spur zu kommen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Tumor aus Zellen entsteht, deren Ausreifung durch bestimmte genetische Veränderungen blockiert wird und damit die Immunabwehr abschwächt. Das Projekt wurde von der Wilhelm Sander-Stiftung unterstützt und kürzlich in Communications Biology publiziert.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Der Thymus ist ein für die Immunabwehr unerlässliches Organ im Brustkorb. In ihm reifen zum einen die sogenannten Killerzellen, die virusinfizierte und entartete Zellen zielgerichtet zerstören können und zum anderen Helferzellen, die den Antikörper-produzierenden B-Zellen wichtige Hilfe bei der Bekämpfung fremder Stoffe im Körper leisten. In den ersten Lebensjahren entfaltet der Thymus seine größte Aktivität, muss doch das Immunsystems des Körpers schnell und zuverlässig mit Abwehrzellen ausgestattet werden. Nach Erfüllung dieser lebenswichtigen Aufgabe wird der Thymus kleiner, verschwindet aber auch im fortgeschrittenen Alter nicht vollständig. In seltenen Fällen kommt es zur bösartigen Entartung des Thymusgewebes. Auch wenn der Großteil dieser Tumore langsam wächst, erfordern sie rasche Behandlung, um das Leben der Patient:innen zu retten. Derzeit steht in der Therapie vor allem die chirurgische Entfernung im Vordergrund, da der Ursprung und die Eigenschaften der Thymus-Tumoren nur unzureichend bekannt sind. Erst deren Kenntnis ermöglicht die Entwicklung zielgerichteter Therapien.

Wirkung eines mutierten Schalter-Gens identifiziert

Ein in der Krebsforschung bewährtes und erfolgreiches Prinzip ist die Nutzung von Tiermodellen, an denen die Besonderheiten der verschiedenen Krebsarten erforscht und neuartige Therapieformen erprobt werden können. Diesen Weg haben die Forschenden um Prof. Thomas Boehm im Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg eingeschlagen. Ihr Ausgangspunkt war die Entdeckung einer bei Thymus-Tumoren oft auftretenden genetischen Veränderung in einem Gen, welches die Funktion eines Schalters für die Aktivierung zahlreicher anderer Gene ausübt. Allerdings war bislang unklar, wie diese unscheinbare Änderung des Genes namens GTF2I zur Tumorentstehung führt. Um dieser Frage nachzugehen, nutzten die Forschenden einen Trick. Sie veränderten die genetische Information von Mäusen derart, dass die betroffenen Tiere im Thymus den mutierten Schalter aktivieren. Aus dem Vergleich mit gesunden Mäusen ließen sich die Veränderungen im Thymus der kranken Tiere genau verfolgen.

Im Thymus befinden sich zwei Klassen von Zellen. Ein erster Typ, der als Stroma bezeichnet wird, stellt eine Nische bereit, in der sich der zweite Zelltyp, die Immunzellen, einfindet und reift, bis er den Thymus verlassen und im Körper die erwünschte Überwachungsfunktion wahrnehmen kann. Die in Tumoren zu findende genetische Veränderung im GTF2I-Gen wirkt sich in den Stromazellen aus, die sich lebenslang aus sogenannten Stammzellen erneuern. Die Untersuchungen zeigen, dass das mutierte GTF2I-Gen die Erneuerung der Stromazellen behindert. Sie bleiben auf halbem Weg stehen und können deshalb ihre Unterstützungsfunktion für die Bildung der Immunzellen nur unzureichend wahrnehmen. Dieser Effekt wirkt sich mit fortschreitendem Alter immer stärker aus und kann die Häufung von Thymuskrebs in der zweiten Lebenshälfte erklären. Diese Entdeckung ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen konnten die Forscher damit einen bisher unbekannten Zwischenschritt im Bildungsprozess des Stromas im Thymus identifizieren und zum anderen zeigen, dass dieser eine besondere Empfänglichkeit für die bösartige Transformation markiert. Die Untersuchungen zeigen allerdings auch auf, wie Medikamente gezielt daraufhin überprüft werden können, ob sie diese Blockade überwinden und die Bildung des Stromas damit wieder normalisieren können.
„Unsere Untersuchungen zeigen einmal mehr, wie bedeutsam Tierexperimente für Fortschritte im Verständnis menschlicher Tumorerkrankungen sein können. Dies gilt insbesondere für seltene Erkrankungen, die oft nur ungenügend Aufmerksamkeit finden“, so Thomas Boehm.
Die Forscher wollen ihr Tiermodell nun weiter verfeinern, um es der bei Patient:innen aufgefunden Situation noch besser angleichen zu können. Insbesondere hoffen sie, dass sich aus der genauen Kenntnis der schrittweisen Entwicklung der Tumore ein stadienabhängiges Therapiekonzept entwickeln lässt, welches eine risikoadaptierte Behandlung der betroffenen Patient:innen erlauben könnte.

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* Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.

Wilhelm Sander-Stiftung: Partner innovativer Krebsforschung

Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das Forschungsprojekt mit insgesamt rund 200.000 Euro über 24 Monate unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 270 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt

Konstanze Adam
Wilhelm Sander-Stiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
Tel.: +49 (0) 89 544187-0
Fax: +49 (0) 89 544187-20
E-Mail: adam@sanst.de

Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik (MPI-IE), Freiburg

Das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik (MPI-IE) in Freiburg ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut, das Grundlagenforschung in zwei Schlüsselbereichen der modernen Biologie durchführt: Immunbiologie und Epigenetik. Die zentralen Fragen liegen in der Erforschung der molekularen Mechanismen der Zelltypidentität, wie sie sich in der Differenzierung der Immunzellen darstellen, auf Unterschiede des Stoffwechselverhaltens ansprechen oder über Chromatinveränderungen angepasst werden.

Kontakt

Marcus Rockoff
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Public Relations
MPI of Immunobiology and Epigenetics
Tel.: +49 (0) 761-5108-368
E-Mail: presse@ie-freiburg.mpg.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Professor Dr. med. Thomas Boehm
Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik
Stübeweg 51, 79108 Freiburg i. Br.
Tel.: +49(0)761-510828
E-Mail: boehm@ie-freiburg.mpg.de


Originalpublikation:

Giorgetti OB, Nusser A, Boehm T. Human thymoma-associated mutation of the GTF2I transcription factor impairs thymic epithelial progenitor differentiation in mice. Commun Biol. 2022 Sep 29;5(1):1037. doi: 10.1038/s42003-022-04002-7. PMID: 36175547; PMCID: PMC9522929.


Weitere Informationen:

http://www.wilhelm-sander-stiftung.de
http://twitter: @SanderStiftung
http://www.ie-freiburg.mpg.de
http://twitter: @mpi_ie


Bilder

Die klare Unterscheidung von Rinde und Mark des normalen Thymus (linke Bildhälfte) ist bei Mutation im GTF2I-Gen aufgelöst (rechte Bildhälfte)und zeigt sich in einer zerklüfteten Gewebsstruktur.

Die klare Unterscheidung von Rinde und Mark des normalen Thymus (linke Bildhälfte) ist bei Mutation

© Thomas Boehm

Professor Dr. med. Thomas Boehm, Gruppenleiter Labor Boehm am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.

Professor Dr. med. Thomas Boehm, Gruppenleiter Labor Boehm am Max-Planck-Institut für Immunbiologie

© MPI für Immunbiologie und Epigenetik, Rockoff


Anhang

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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW