02.06.2020 10:00
Neues Experiment-Design verbessert Reproduzierbarkeit
Internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Ökologen der Universität Jena empfiehlt Maßnahmen, um die Reproduzierbarkeit von biomedizinischen Versuchen zu erhöhen. Ihr Vorschlag ist, einen der Einflussfaktoren bei Experimenten – nämlich die biologische Variabilität – bereits in das Design des Experiments zu integrieren, um so allgemeingültigere Ergebnisse hervorzubringen.
Für einige wissenschaftliche Disziplinen, etwa in der Medizin oder der Arzneimittelforschung, sind Experimente mit lebenden Tieren nach wie vor unerlässlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich ihrer Verantwortung in diesem sensiblen Bereich bewusst und bemüht, die Anzahl der Versuche so gering wie möglich zu halten. Umfangreiche Standardisierungsprozesse sollen die Effizienz der Experimente erhöhen und somit die Anzahl der notwendigen Tests verringern. Doch die biologische Komplexität, insbesondere eine Abhängigkeit vom Kontext der einzelnen Versuche, erschwert häufig die Reproduzierbarkeit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Bern, an dem auch Ökologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena beteiligt sind, stellt im aktuellen Forschungsmagazin „Nature Reviews Neuroscience“ Empfehlungen vor, wie sich die Anzahl der Experimente verringern lässt.
Resultate sind häufig kontextabhängig
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Reproduzierbarkeit von Ergebnissen ist ein entscheidender Bestandteil der Wissenschaft. Ergebnisse sind dann reproduzierbar, wenn aus einer Erst-Studie gewonnene Forschungsergebnisse durch unabhängige Replikatstudien bestätigt werden können“, erklärt Prof. Dr. Holger Schielzeth von der Universität Jena, einer der Co-Autoren der Studie. „Ein Grundproblem biologischer Untersuchungen ist dabei, dass die Resultate häufig sehr kontextabhängig sind. Unser Vorschlag ist deshalb, einen dieser Einflussfaktoren – nämlich die biologische Variabilität – bereits in das Design des Experiments zu integrieren, um so allgemeingültigere Ergebnisse hervorzubringen.“
Standardisierung schränkt ein
Derzeit standardisieren Forscherinnen und Forscher bei Versuchen, wie etwa zur Verabreichung eines potenziellen Medikaments, nach strengen Kriterien die Rahmenbedingungen und Merkmale der Versuchstiere. Dadurch wollen sie sämtliche Einflussfaktoren, die nichts mit dem unmittelbaren Versuchsziel zu tun haben, beseitigen und somit die Wiederholbarkeit der Ergebnisse erhöhen. Diese standardisierte Vorgehensweise schränkt allerdings den Bereich der Bedingungen ein, auf die die so gewonnenen Ergebnisse verallgemeinert werden können. Mehr Studien sind also notwendig, um die Resultate zu bestätigen.
„Wir empfehlen deshalb die gezielte Einbeziehung von Variationen in die Gestaltung der Versuche, um den Bereich zu vergrößern, auf den die Ergebnisse zuverlässig übertragen werden können“, sagt der Jenaer Ökologe. „Das erhöht das Potenzial der Reproduzierbarkeit und verringert somit die Gesamtzahl der Versuche.“ Eine sogenannte „systematische Heterogenisierung“ von Tiermerkmalen und Umweltfaktoren könne in einer modifizierten Version des randomisierten Block-Designs erreicht werden. Dabei werden Manipulationen und experimentelle Kontrollen gepaart angesetzt und gezielt in unterschiedlichen Kontexten durchgeführt.
Weniger Folgestudien notwendig
Durch diese Anordnung lässt sich herausfinden, ob bestimmte Ergebnisse verallgemeinerbar oder auf versuchsspezifische Einflussfaktoren zurückzuführen sind. Denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten so innerhalb einer Studie biologische Variationen aufgreifen und beispielsweise verschiedene Geschlechter, Altersgruppen oder Lebensbedingungen der Tiere berücksichtigen. So erhalten sie robustere Erkenntnisse aus einem einzelnen Experiment. Weitere Forschung an dieser neuen Methode soll bessere Richtlinien für zukünftige Versuche hervorbringen.
„Uns ist bewusst, dass sich durch dieses Experiment-Design die Anzahl der Versuchstiere während einer Erst-Studie erhöhen kann“, sagt Schielzeth. „Doch sind danach weitaus weniger Folgestudien erforderlich, um das Ergebnis zu verifizieren, was insgesamt zu einer deutlichen Verminderung der Versuchstiere führt.“ Deshalb fordert das Team Forschungsinstitutionen und Regulierungsbehörden dazu auf, die Heterogenisierung als Standardmodell für Experimente zu etablieren.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Holger Schielzeth
Institut für Ökologie und Evolution der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dornburger Straße 159, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 949410
E-Mail: holger.schielzeth[at]uni-jena.de
Originalpublikation:
B. Voelkl, N. S. Altman, A. Forsman, W. Forstmeier, J. Gurevitch, I. Jaric, N. A. Karp, M. J. Kas, H. Schielzeth, T. van de Casteele, H. Würbel (2020): Reproducibility of animal research in light of biological variation, Nature Reviews Neuroscience, DOI: https://doi.org/10.1038/s41583-020-0313-3
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch