Protein macht Hirnzellen Beine



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01.02.2019 10:00

Protein macht Hirnzellen Beine

Unser Gehirn ähnelt ein wenig einem komplexen Gebäude aus Lego, in dem jeder Stein seinen eigenen Platz hat. Mit dem Unterschied, dass sich unser Denkorgan quasi selbstständig zusammenbaut: Bei der Hirnreifung wandern die Zellen genau an die Orte, an denen sie später gebraucht werden. Forscher des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie am Universitätsklinikum Bonn und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben nun neue Erkenntnisse zu einem Prozess gewonnen, der bei diesem Vorgang eine wesentliche Rolle spielt. Ihre Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift eLife erschienen.

Die Wissenschaftler haben in ihrer Studie einen bestimmten Typ von Zellen untersucht, die dopaminergen Neurone des Mittelhirns. Ihren etwas sperrigen Namen verdanken sie ihrer Fähigkeit, den Botenstoff Dopamin zu produzieren. Dieser spielt bei der Signalübertragung zwischen bestimmten Nervenzellen eine wesentliche Rolle, etwa im sogenannten Belohnungssystem. Dieses sorgt dafür, dass wir bestimmte Erfahrungen als angenehm empfinden und danach streben, sie zu wiederholen. Eine verminderte Dopaminausschüttung aufgrund eines fortschreitenden Verlusts dopaminerger Neurone kann zudem zur Parkinson-Erkrankung mit ihren charakteristischen Defiziten bei Bewegungsabläufen führen.

Je nach Funktion findet man dopaminerge Neurone in verschiedenen Bereichen unseres Denkorgans. Einer davon ist die Substantia nigra, ein zweiter das ventrale Tegmentum. „Die dopaminergen Neurone von Substantia nigra und ventralem Tegmentum werden beide aus Vorläuferzellen im Mittelhirn gebildet“, erklärt Prof. Dr. Sandra Blaess vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie des Universitätsklinikums Bonn. „Während der Embryonalentwicklung wandern sie zunächst zusammen in eine Richtung und reifen dabei weiter heran.“

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Reelin stabilisiert die Sprint-Form der Zellen

Dann jedoch endet der gemeinsame Marsch: Ein Teil der Zellen biegt Richtung Substantia nigra ab, der andere bleibt zurück, um das ventrale Tegmentum zu bilden. „Wir wussten, dass bei diesem Prozess ein Protein namens Reelin eine wichtige Rolle spielt“, erklärt Blaess’ Mitarbeiterin Ankita Vaswani. „Welche genau, wollten wir in unserer Studie herausfinden.“

Dazu haben die Wissenschaftler in dopaminergen Neuronen in der Maus die Produktion des Proteins DAB1 unterbunden, das für die Übertragung des Reelin-Signals in die Zelle essenziell ist. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass es die Substantia Nigra-Neurone dann nicht mehr schaffen, ihre endgültige Position zu erreichen.

„Wir haben die Neurone nun mit einem fluoreszenten Protein markiert und dopaminerge Neurone mit und ohne DAB1 bei ihrer Wanderung gefilmt“, erklärt Vaswani. „Dabei stellten wir fest, dass sich die Zellen mit DAB1 in den meisten Phasen nur langsam bewegten, dazwischen aber rasche Sprints einlegten.“ Auffällig war, dass die „Sprinter“ stets Fortsätze aufwiesen, die eindeutig in Richtung der Wanderungsbewegung ausgerichtet waren, und dass diese Zellen besonders zielgerichtet wanderten. Unter den Neuronen ohne DAB1 waren dagegen weniger „Sprinter“ zu finden, ihre Zellform war weniger stabil und die Zellen verloren teilweise ihre Orientierung. „Reelin scheint die in Wanderungsrichtung orientierte Zellform zu stabilisieren und so dafür zu sorgen, dass die Zellen sich schneller und gezielter bewegen“, interpretiert Prof. Blaess die Ergebnisse.

Vor allem zeigen die Resultate aber, dass Reelin sehr direkt in die Zellwanderung eingreift. „Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Lockstoff, dem die dopaminergen Neurone folgen“, betont Sandra Blaess. „Stattdessen ist es vermutlich ein Faktor, der es den Neuronen ermöglicht, richtig auf andere Signale in ihrer Umgebung zu reagieren.“ Die Ergebnisse der Grundlagenstudie helfen den Wissenschaftlern, die komplexen Prozesse bei der Entstehung des Gehirns besser zu verstehen. Inwieweit sie sich auf das Gehirn des Menschen übertragen lassen, muss sich aber noch zeigen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Sandra Blaess
Heisenberg-Professur für Entwicklungsneurobiologie
Institut für Rekonstruktive Neurobiologie
Universitätsklinikum Bonn
Tel.: 0228/6885-540
E-Mail: sandra.blaess@uni-bonn.de


Originalpublikation:

Ankita R. Vaswani, Beatrice Weykopf, Cathleen Hagemann, Hans-Ulrich Fried, Oliver Brüstle und Sandra Blaess: Correct setup of the substantia nigra requires Reelin-mediated fast, laterally-directed migration of dopaminergic neurons; https://doi.org/10.7554/eLife.41623.001


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW