SARS-CoV-2 geht an die Nieren – welche therapeutischen Konsequenzen sind zu ziehen?



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18.05.2020 12:30

SARS-CoV-2 geht an die Nieren – welche therapeutischen Konsequenzen sind zu ziehen?

Eine aktuelle Studie zeigt: Das neuartige Coronavirus geht im wahrsten Sinne des Wortes an die Nieren. Viele Patienten weisen bereits zu Beginn einer COVID-19-Erkrankung Urinauffälligkeiten auf, bei schweren Verläufen entwickelt sich oft ein ein akutes Nierenversagen. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) plädiert für eine interdisziplinäre Betreuung und nephrologische Nachsorge von COVID-19-Patienten mit Nierensymptomen.

Ende der letzten Woche publizierten Professor Dr. Tobias Huber und Kollegen die Ergebnisse der in Hamburg am UKE durchgeführten Obduktionsstudie [1]. Insgesamt wurden Proben aus verschiedenen Organgeweben von 27 obduzierten, an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten im Hinblick auf die Viruslast analysiert. Wie sich zeigte, befällt das neuartige Virus zwar am stärksten die Lungen, aber auch andere Organe, und zwar in einem besonderen Maße die Nieren, sind betroffen. Anhand der Proben von sieben Patienten wurde darüber hinaus untersucht, welche Nierenkompartimente besonders in Mitleidenschaft gezogen werden, und es zeigte sich, dass die Nierenkanälchen (Tubuli) und besonders auch Zellen der Nierenkörperchen (Glomeruli) eine hohe Viruslast aufwiesen.

„Das deckt sich gut mit unseren klinischen Beobachtungen. Die Glomeruli übernehmen die Filterfunktion der Nieren und die Tubuli die Rückresorption. Es zeigt sich schon früh im Verlauf einer Covid-19-Erkrankung, dass viele Patienten Auffälligkeiten im Urin haben, insbesondere eine Albuminurie,“ erklärt Studienleiter Professor Huber.

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Die Nieren sind also neben der Lunge ein entscheidendes Zielorgan von SARS-CoV-2 und ein Nierenversagen stellt nach der Lunge das zweithäufigste Organversagen dar. Derzeit wird untersucht, ob Nierenparameter ggf. sogar prognostisch für den Verlauf der neuartigen Viruserkrankung sein könnten und sich dadurch Risikopatienten stratifizieren ließen [2, 3].

„Fest steht schon jetzt, dass die Nieren massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Am Anfang einer COVID-19-Erkrankung ist das an Markern im Urin ablesbar, im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung daran, dass über 30% der intensivpflichtigen Patienten ein schweres akutes Nierenversagen erleiden und dialysiert werden müssen, wie eine Umfrage unter Krankenhausnephrologen [4] gezeigt hatte“, erklärt Professor Dr. Julia Weinmann-Menke, Mainz, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). Wie sie weiter ausführt, sei die Hamburger Studie deswegen so bedeutsam, weil sie klare Konsequenzen für die Behandlung von COVID-19-Patienten aufzeige. Bei einer frühzeitigen Mitbeteiligung der Nieren, die sich mit einem einfachen Urintest feststellen lässt, müsse alles daran gesetzt werden, die Nieren der Betroffenen zu schützen. Beispielsweise sollte der Einsatz nierenschädigender Medikamente – darunter verschiedene Antibiotika und Schmerzmedikamente – vermieden werden.

Bei einem sehr hohen Proteinverlust über die Nieren (>3,5 g/1,73 m2/24 h) liegt ein nephrotisches Syndrom vor, ein schweres nephrologisches Krankheitsbild, das zu gefährlichen Wassereinlagerungen und Thromboembolien führen kann. „Es ist zu befürchten, dass dieses Krankheitsbild bei vielen schwerstkranken COVID-19-Patienten aufgrund der Dramatik der pneumologischen Symptome weniger berücksichtigt und daher nicht behandelt wurde. Wir halten daher die interdiziplinäre Betreuung der Patienten für dringend erforderlich“, so die Expertin.

Ein weiteres Thema ist die Nachsorge, wie Professor Dr. Jan C. Galle, Lüdenscheid, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), ausführt: „Wir müssen die Patienten, nachdem sie von COVID-19 genesen sind, weiter im Blick behalten. Im Prinzip ist nicht einmal klar, ob sich die erhöhte Eiweißausscheidung bei Patienten mit leichten COVID-19-Verläufen, die zuvor nierengesund waren, vollständig zurückbildet oder dauerhaft bestehen bleibt.“ Patienten, die während der COVID-19-Erkrankung ein akutes Nierenversagen (AKI) erlitten haben, müssten ohnehin nephrologisch nachbetreut werden. „AKI-Patienten haben ein signifikant erhöhtes Risiko, chronisch nierenkrank und dialysepflichtig zu werden, und wir wissen aus verschiedene Studien, dass eine nephrologische Nachbetreuung dieser Patienten zu einem besseren Outcome führt.“

Literatur
[1] Huber T et al. Multiorgan and Renal Tropism of SARS-CoV-2. N Engl J Med. 2020 May 13. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMc2011400
[2] Gross O et al. COVID-19-associated nephritis: early warning for disease severity and complications? The Lancet 2020. Published:May 06, 2020DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31041-2
[3] Nierenwerte als Seismograf für den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. Pressemeldung der DGfN vom 14.05.2020; abrufbar unter https://www.dgfn.eu/pressemeldung/nierenwerte-als-seismograf-fuer-den-verlauf-ei…
[4] Ergebnisse der Querschnitts-Umfrage des VLKN vom 16.04.2020 zum Anteil der auf Intensivstationen behandelten COVID-19 Patienten mit dialysepflichtigem AKI. Abrufbar unter https://www.dgfn.eu/vlkn-umfrage-dialysepflichtiges-aki-bei-intensivpatienten.ht…

Pressekontakt
Pressestelle der DGfN
Dr. Bettina Albers
presse@dgfn.eu
Tel. 03643/ 776423


Originalpublikation:

DOI: 10.1056/NEJMc2011400


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW