Studie zeigt: Mangelhafte Versorgung von Frauen mit Gefäßerkrankungen in Deutschland



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24.03.2022 11:50

Studie zeigt: Mangelhafte Versorgung von Frauen mit Gefäßerkrankungen in Deutschland

Berlin, 24.03.2022. Die Versorgung von PatientInnen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit in Deutschland ist weiterhin mangelhaft: Vor allem Frauen werden häufig nicht nach den aktuellen Empfehlungen der wissenschaftlichen Leitlinien behandelt.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Das Projekt GenderVasc an der Klinik für Kardiologie I des Universitätsklinikum Münster, ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördertes Projekt, untersucht die Versorgungsrealität der PatientInnen mit Herz- und
Gefäßerkrankungen in Deutschland mit dem Schwerpunkt von geschlechtsspezifischen Unterschieden. Als Datenquelle für Analysen dienen Routinedaten einer der größten Krankenkassen in Deutschland (AOK) und des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) der Jahre 2010 bis 2018. Die Ergebnisse der Studie wurden erst kürzlich im European Heart Journal veröffentlicht (https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac016).

Vor allem Frauen werden nicht leitliniengerecht behandelt

„Unsere Analysen zeigen, dass PatientInnen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) generell und häufig nicht den Leitlinienempfehlungen entsprechend behandelt werden. Diese mangelhafte Versorgung ist bei Frauen sogar noch deutlicher als bei Männern“, führt Dr. Lena Makowski, Erstautorin der Studie, aus. „Unsere bisherigen Ergebnisse sind beunruhigend und es bedarf einer dringenden Verbesserung in der Diagnostik und Therapie von pAVK PatientInnen in einem so hoch entwickelten Gesundheitssystem wie in Deutschland. Hier muss seitens der betreffenden Fachgesellschaften, der Patienten-Organisationen und der Gesundheitspolitik mehr getan werden, “ erläutert PD Dr. med. Nasser Malyar, Leiter der Sektion Angiologie am Universitätsklinikum Münster und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V.
Die AutorInnen haben für die Analyse Daten aller stationär behandelten PatientInnen mit pAVK im Stadium der kritischen Ischämie (n=ca. 200.000) der AOK Krankenkasse aus den Jahren 2010 bis 2017 einbezogen. Die Ergebnisse ihrer Studien belegen, dass im jüngeren Alter (50-80 Jahre) bei der pAVK-Prävalenz das männliche Geschlecht, im höheren Alter (>80 Jahre) jedoch das weibliche Geschlecht dominiert. Zum Zeitpunkt der Hospitalisierung sind Frauen im Durchschnitt 7,6 Jahre älter als Männer, weisen häufiger Endorganschäden wie Herz- und Niereninsuffizienz, sowie Vorhofflimmern als Komorbiditäten auf, während Männer häufiger Zigarettenrauchen, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie sowie eine koronare Herzerkrankung aufweisen.

Viele Amputationen könnten verhindert werden

Die Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Rauchen, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörung), eine gesunde Lebensführung sowie ein regelmäßiges Gehtraining – soweit dies möglich ist – stellen die therapeutischen Basis-Maßnahmen bei allen PatientInnen mit pAVK dar. Bei PatientInnen mit einer kritischen Extremitäten-Ischämie ist die Revaskularisation die Standardtherapie und die entscheidende Maßnahme zur Verhinderung einer Amputation. Wie in der aktuellen Studie gezeigt wurde, kommt eine Revaskularisations-Prozedur jedoch bei weniger als 2/3 der Betroffenen zur Anwendung, der Anteil bei Frauen ist sogar noch niedriger als bei Männern (60,6% vs. 65,4%, P<0,001).

Empfohlene Substanzen werden zu selten verschrieben

Neben den Basis-Maßnahmen und einer Revaskularisation kommen Plättchenhemmer und Lipidsenker (vorwiegend Statine) zum Einsatz, die nachweislich die Rate an schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle aber auch Bein-Ereignisrate wie erneute Revaskularisation und Amputation senken. Für beide Substanzen gibt es eine überwältigende Evidenz und sie sind daher mit dem höchsten Empfehlungsgrad in den nationalen und internationalen Leitlinien versehen. Nichtdestotrotz ist die Rate der Verschreibungen dieser Substanzen bei PatientInnen mit pAVK selbst nach der Diagnosestellung weiterhin unzureichend. Auch hierbei ist die Verschreibungsrate bei Frauen niedriger als bei Männern (50,8% vs. 61,8% für Statine und 67,7% vs. 73,5% für Plättchenhemmer/orale Antikoagulantien, P<0,001). „Interessanterweise zeigen unsere Analysen jedoch, dass trotz der schlechteren gefäßmedizinischen Versorgung Frauen im Langzeitverlauf im Vergleich zu Männern ein um 16% geringeres Amputations- und 5% geringeres Sterblichkeitsrisiko haben. Man kann davon ausgehen, dass die Prognose der pAVK-PatientInnen, insbesondere bei Frauen, sich deutlich verbessern könnte, wenn man die evidenz-basierten Empfehlungen konsequent umsetzte,“ so Dr. Makowski.

Wandel in der Forschung gefordert

Obwohl die Gesamt-Prävalenz der pAVK bei Frauen höher ist als bei Männern (https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab892), sind Frauen in den Studien deutlich unterrepräsentiert. „Geschlechtsspezifische Unterschiede finden in unseren therapeutischen Entscheidungen und Empfehlungen keine Berücksichtigung, weil es noch an geschlechtsspezifischer Forschung und an entsprechenden Daten mangelt. Hier ist ein Umdenken nötig. Wir brauchen eine auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede fokussierte Forschung, um die Ursachen der Mangel- und Fehlversorgung zu identifizieren, um dann entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen,“ so PD Dr. Malyar.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD. Dr. Nasser Malyar
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1, A1
48149 Münster
0251-83-47688
nasser.malyar@ukmuenster.de


Originalpublikation:

Referenzen:
Makowski L, Köppe J, Engelbertz C, Kühnemund L, Fischer AJ, Lange SA, Dröge P, Ruhnke T, Günster C, Malyar N, Gerß J, Freisinger E, Reinecke H, Feld J. Sex-related differences in treatment and outcome of chronic limb-threatening ischaemia: a real-world cohort. Eur Heart J. 2022 Feb 3:ehac016. doi: 10.1093/eurheartj/ehac016. Epub ahead of print. PMID: 35134893.


Weitere Informationen:

http://Katarina Pyschik, Nina Langbehn, Sebastian Rauch
http://Deutsche Gesellschaft für Angiologie
http://Haus der Bundespressekonferenz, Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin
http://Tel. 030/20 88 88 31 oder 017623446859
http://E-Mail: info@dga-gefaessmedizin.de


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW