Therapieansatz gegen schwere angeborene Muskelerkrankung



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29.03.2022 10:17

Therapieansatz gegen schwere angeborene Muskelerkrankung

Die Diagnose ist selten, aber verheerend. Kinder mit einer angeborenen Muskelschwäche haben grosse Mühe mit der Nahrungsaufnahme und lernen oft nie das Laufen. Bisher gab es keine Chance auf Heilung, doch Forschende der Universität und des Universitätsspitals Basel stellen nun erstmals einen Therapieansatz vor.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Sie habe eines der betroffenen Kinder im Alter von sechs Monaten gesehen, erinnert sich Prof. Dr. Susan Treves. Der Junge wirkte wie ein Neugeborenes. Heute, mehrere Jahre später, kann er dank intensiver Physiotherapie zumindest sitzen. «Er hat es geschafft», so die Forscherin. Heilung gibt es bisher nicht für Kinder wie diesen Jungen. In erster Linie geht es ums Überleben. Ein anderes Kind mit Mutationen im gleichen Gen wie der erwähnte Bub hat nicht überlebt. Seine Genveränderungen bildeten aber die Grundlage für einen Therapieansatz, den die Forschungsgruppe um Susan Treves und Prof. Dr. Francesco Zorzato im Fachjournal «eLife» vorstellen.

Das betroffene Gen enthält den Bauplan für einen Calciumkanal namens RYR1 in der Skelettmuskulatur. Die Mutationen machen das Gen jedoch unbrauchbar, was schwere Folgen für die Muskeln hat. Die Genveränderungen haben die Forschenden als Vorlage genutzt, um ein Mausmodell für diese Art angeborener Muskelerkrankungen zu entwickeln. «Die Mäuse sterben nicht, aber ihre Muskulatur ist stark beeinträchtigt», so Treves. «Sie sind kleiner und bewegen sich viel weniger.» Mit einer Kombination aus zwei Medikamenten konnte das Forschungsteam den Zustand der Mäuse jedoch erheblich verbessern.

Zu fest verpacktes Erbgut

Basis der Therapie ist die Beobachtung, dass in der Skelettmuskulatur der Betroffenen bestimmte Enzyme in zu grosser Menge produziert werden. Diese Enzyme, genauer gesagt sogenannte Histondeacetylasen und DNA-Methyltransferasen, verändern den Verpackungsgrad des Erbguts. Dadurch werden Gene unzugänglicher für jene Zellmaschinerie, die sie abliest und in Anleitungen für die Proteinproduktion übersetzt.

Treves und ihr Team nutzten Hemmstoffe gegen diese Enzyme, die als Medikamente gegen Krebserkrankungen bereits zugelassen sind oder in klinischen Studien getestet werden. Dank der Behandlung verbesserte sich die Bewegungsfähigkeit der Mäuse deutlich. Kleiner als die gesunden Tiere aus dem gleichen Wurf blieben sie aber trotzdem. Unerwünschte Nebeneffekte beobachteten die Forschenden während des Studienzeitraums indes nicht.

Vom Gen zur Therapie

Von einer klinisch einsetzbaren Therapie sei der Ansatz noch weit entfernt, sagt Treves. «Aber es ist überhaupt mal ein erster Schritt in diese Richtung.» In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden die Behandlung weiter optimieren und Kombinationen mit weiteren Wirkstoffen prüfen, um noch bessere Effekte zu erzielen. «Wir rechnen noch mit etwa zwei Jahren an Optimierung und Tests, bevor wir eine klinische Phase-I-Studie anstossen können», so die Forscherin.

Für Susan Treves und Francesco Zorzato bedeuten diese ersten vielversprechenden Ergebnisse einen Etappensieg nach über zehn Jahren Forschung. Zumal Zorzato derjenige war, der das bei diesen Muskelerkrankungen betroffene Gen vor Jahren erstmals isoliert hatte. «Wir haben damit den Bogen geschlagen von der Isolation des betroffenen Gens bis hin zu einem Therapieansatz», so Treves.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Susan Treves, Universität Basel, Departement Biomedizin, E-Mail: susan.treves@unibas.ch, Tel. +41 61 265 23 73


Originalpublikation:

Alexis Ruiz et al.
Improvement of muscle strength in a mouse 1 model for congenital myopathy treated with HDAC and DNA methyltransferase inhibitors.
eLife (2022), doi: 10.7554/eLife.73718


Weitere Informationen:

https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Ansatz-gegen-schwere-angebore…


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW