UKR-Wissenschaftler entdecken bakterielle „Protein-Schere“



Teilen: 

08.04.2021 10:04

UKR-Wissenschaftler entdecken bakterielle „Protein-Schere“

Ärzte und Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) konnten zeigen, dass sich bei einer Lebererkrankung der schützende Darmschleim (Mukus) verringert. Dadurch können normale Darmbakterien in direkten Kontakt mit den Zellen der Darmwand treten und mit Hilfe einer neu entdeckten „Protein-Schere“ (Protease) Leckagen der Darmwand verursachen. Durch diese Beschädigungen können Keime den Darm verlassen und schwere Infektionen auslösen. Diese wichtigen Forschungserkenntnisse wurden jetzt in der international renommierten Fachzeitschrift „GUT“ (englisch für „Darm“) veröffentlicht.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Die Leber ist ein lebenswichtiges Organ. Sie ist die „Schaltzentrale“ unseres Stoffwechsels, produziert einen Großteil der zum Überleben wichtigen Energie, baut Giftstoffe ab und entsorgt diese. Daher sind Störungen der Leber, die weltweit zu den häufigsten Erkrankungen zählen, lebensbedrohlich.
Um ihre mannigfaltigen Aufgaben zu erfüllen, muss die Leber mit anderen Organen kommunizieren. Dabei rückt die Verbindung zwischen Leber und Darm, die sogenannte Darm-Leber-Achse, immer mehr in den Fokus von Ärzten und Wissenschaftlern.

„Mittlerweile wissen wir: erkrankt die Leber, verändert sich der Darm. Nicht nur die Zusammensetzung des Mikrobioms wird beeinflusst, sondern der Darm verliert auch teilweise seine Integrität – er bekommt sozusagen kleinste Leckagen“, erklärt Professor Dr. Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des UKR. „Durch diese Beschädigungen können Bakterien das Innere des Darms verlassen, in dem sie natürlicherweise vorkommen, und so lebensbedrohende Infektionen auslösen.“

Neue Behandlungsoptionen bei Lebererkrankungen

In einer Studie gelang es dem interprofessionellen Team um Professor Dr. Martina Müller-Schilling, den Mechanismus der bakteriellen Translokation auf molekularer Ebene zu entschlüsseln. Bei einer Lebererkrankung verringert sich der schützende Darmschleim (Mukus), wodurch Darmbakterien in direkten Kontakt mit den Zellen der Darmwand (Darmepithelzellen) treten können. Diese Darmepithelzellen sind fest miteinander verbunden und bilden eine natürliche Barriere, die die Bakterien am Verlassen des Darms hindert. Das Forscherteam um Dr. Marika Haderer, PD Dr. Claudia Kunst und PD Dr. Karsten Gülow entdeckten, dass die Bakterien bei direktem Kontakt die Darmzellen „kidnappen“ und dazu zwingen, Teile der Verbindungen (engl. cell junctions) zwischen den Darmepithelzellen abzubauen.

Wie dies geschieht, erklärt PD Dr. Gülow: „Alle Proteine in unseren Zellen werden im Laufe der Zeit abgebaut, um wiederverwertet zu werden. So werden defekte Eiweißstoffe entsorgt, und neue Proteine können gebildet werden. Dies geschieht durch das sogenannte Proteasom. Die Bakterien sorgen dafür, dass die Zellkontaktproteine der Darmzellen dem Proteasom sofort zugeführt werden, ohne dass sie überhaupt defekt sind und ohne dass neue Proteine nachgebildet werden können. Dadurch werden die Zellkontakte massiv geschwächt.“

Die Darmbakterien, die dann tatsächlich den Darm verlassen können, besitzen zusätzlich eine neuartige Eigenschaft (Enzymaktivität), die es den Keimen ermöglicht, die verbliebenen Verbindungen zwischen den Darmzellen vollständig zu zerschneiden und sich so den Weg in den Körper zu bahnen. Dadurch kann es dann zu einer lebensgefährlichen Infektion kommen.

„Diese von uns neu entdeckte Enzymaktivität muss man sich als eine Art Schere auf den Bakterien vorstellen. So bahnen sich die Bakterien ihren Weg in den Körper“, erläutert Professor Müller-Schilling. „Bei dieser Schere handelt es sich um ein von den Bakterien hergestelltes Eiweiß (Protein), dass die spezielle Eigenschaft besitzt, die Zell-Zell-Kontakte zwischen den Darmzellen anzugreifen. Diese sehr spezielle Eigenschaft gibt uns die Möglichkeit, hier spezifische Medikamente (Inhibitoren) zu entwickeln, die diese Protein-Schere blockieren. Ist die Protein-Schere blockiert, können die Bakterien den Darm nicht mehr verlassen. Eine Infektion wird verhindert“, führt die Medizinerin weiter aus.

Diese zuvor unbekannte Enzymaktivität stellt einen neuen Ansatzpunkt für eine Therapie bei Lebererkrankungen dar, um eine schwerwiegende Infektion mit Durchwanderung des Darmepithels durch Bakterien zu verhindern. Dies ist sehr wichtig, denn neue Medikamente sind für Infektionen dringend erforderlich, da Bakterien mehr und mehr „dazulernen“ und zunehmend nicht mehr auf gängige Antibiotika ansprechen.

Publikation:
Haderer M, Neubert P, Rinner E, Scholtis A, Broncy L, Gschwendtner H, Kandulski A, Pavel V, Mehrl A, Brochhausen C, Schlosser S, Gülow K, Kunst C, Müller M. Novel pathomechanism for spontaneous bacterial peritonitis: disruption of cell junctions by cellular and bacterial proteases. Gut. 2021 Mar 11:gutjnl-2020-321663. doi: 10.1136/gutjnl-2020-321663.


Originalpublikation:

https://gut.bmj.com/content/early/2021/03/10/gutjnl-2020-321663


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW