“Wachsendes Ende” von Entzündungen entdeckt



Teilen: 

13.05.2022 20:00

“Wachsendes Ende” von Entzündungen entdeckt

Rötung, Schwellung, Schmerz – das sind Anzeichen einer Entzündung. Sie dient dem Schutz des Körpers vor Krankheitserregern oder Fremdstoffen. Forschende der Universitäten Bonn und Köln konnten zeigen, dass Entzündungsreaktionen eines wichtigen Sensorproteins in einer bestimmten räumlichen Richtung ablaufen. Diese Erkenntnis hat das Potenzial, Entzündungen möglicherweise am „wachsenden Ende“ zu stoppen, und somit chronischen Entzündungskrankheiten Einhalt zu gebieten. Die Studie ist nun im Journal “Science Advances” erschienen. ACHTUNG SPERRFRIST: Nicht vor Freitag, 13. Mai, 20 Uhr MESZ veröffentlichen!

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Wenn Bakterien oder Viren lebende Zellen befallen oder darin sonstige Fremdstoffe auftreten, wird der Gefahrensensor mit dem Kürzel NLRP3 aktiviert. “Auch die für die Alzheimer-Erkrankung charakteristischen Eiweißablagerungen im Gehirn, die so genannten Amyloid-ß-Plaques, können NLRP3 in Gang setzen”, verweist Prof. Dr. Matthias Geyer vom Institut für Strukturbiologie des Universitätsklinikums Bonn auf frühere Studien. Wie diese vorangehenden Untersuchungen der Forscher zeigen, befeuert diese Reaktion sich zunehmend selbst: Die durch NLRP3 ausgelöste Entzündungsrektion fördert die weitere Ablagerung von Amyloid-ß-Plaques und trägt maßgeblich zum Krankheitsgeschehen bei.

Einmal aktiviert, lagern sich mehrere NLRP3-Proteine aneinander an und bilden so den Keim für eine fadenförmige Struktur, an der sich immer weitere Proteine sammeln. “Die Reaktion kommt in Gang, sobald etwa ein Dutzend der NLRP3-Moleküle vorliegt”, berichtet Geyer. Theoretisch können sich unendlich viele NLRP3-Moleküle aneinander lagern und die fadenförmige Struktur – wissenschaftlich “Filament” genannt – immer weiter verlängern. Inga Hochheiser aus Prof. Geyers Team konnte nun zeigen, in welche Richtung dieses Filament wächst und sich weiter ausdehnt. “Diese Einblicke konnten wir mit Hilfe der Cryo-Elektronenmikroskopie gewinnen. Diese Methode erlaubt es, Eiweiß-Moleküle mit bis zu 80.000-facher Vergrößerung zu beobachten und so direkt sichtbar zu machen”, sagt Hochheiser.

“Standbild” von der fadenförmigen Struktur unter dem Mikroskop

In winzigen Schritten träufelte die Wissenschaftlerin aus Zellen isoliertes NLRP3 auf einen Probenträger und fror diese Mischung schlagartig ein. Dadurch bekamen die Forscher unter dem Cryo-Elektronenmikroskop eine Art “Standbild” von der entstehenden fadenförmigen Struktur aneinandergelagerter NLRP3-Moleküle. “Aus diesen Einzelbildern ließ sich wie in einem Film nachvollziehen, wie sich die Filamente verlängern”, sagt Hochheiser. Da beim Träufeln die Moleküle unterschiedlich auf den Probenträger fallen, sind sie unter dem Mikroskop aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Diese unterschiedlichen Ansichten lassen sich am Computer zu einem dreidimensionalen Bild kombinieren. Dabei zeigte sich, dass sich die Filamente nur in eine Richtung ausbilden. „So konnten wir einen Teil des Entzündungsapparates sichtbar machen und die Wachstumsrichtung buchstäblich ablesen“, sagt Prof. Geyer, der die Studie geleitet hat und Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und dem Transdisziplinären Forschungsbereich „Life and Health“ der Universität Bonn ist.

Chronische Entzündungskrankheiten stoppen

“Die technische Herausforderung bestand darin, die Übergänge in den fadenförmigen Strukturen zu finden und im Bild sichtbar zu machen”, sagt Prof. Dr. Elmar Behrmann vom Institut für Biochemie der Universität zu Köln. “Die neuen Erkenntnisse erlauben nun, das wachsende Ende der Entzündungsreaktion mit Hilfe von Antikörpern oder Wirkstoffen gezielt zu adressieren”, sagt Hochheiser. Damit kommen die Forschenden dem Ziel näher, den weiteren Aufbau des Entzündungsapparates zu stoppen und auf diese Weise chronischen Entzündungen entgegenzuwirken.

Beteiligte Institutionen und Förderung:

Neben dem Institut für Strukturbiologie und dem Institut für Angeborene Immunität des Universitätsklinikums Bonn sind an der Studie das Institut für Biochemie der Universität zu Köln sowie The Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research in Melbourne (Australien) beteiligt. Am Forschungszentrum caesar in Bonn und dem Rudolf-Virchow-Zentrum der Universität Würzburg wurden Messungen durchgeführt. Die Studie wurde durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Matthias Geyer
Institut für Strukturbiologie
Universitätsklinikum Bonn
Tel. +49-228/287-51400
E-Mail: matthias.geyer@uni-bonn.de


Originalpublikation:

Inga V. Hochheiser, Heide Behrmann, Gregor Hagelueken, Juan F. Rodríguez-Alcázar, Anja Kopp, Eicke Latz, Elmar Behrmann & Matthias Geyer: Directionality of PYD filament growth determined by the transition of NLRP3 nucleation seeds to ASC elongation, Science Advances, DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abn7583


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW