Wie Blutstammzellen ihr lebenslanges Potential zur Selbsterneuerung aufrechterhalten



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27.01.2021 12:22

Wie Blutstammzellen ihr lebenslanges Potential zur Selbsterneuerung aufrechterhalten

Charakteristisches Merkmal aller Stammzellen ist ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung. Doch wie wird dieses Potenzial ein Leben lang aufrechterhalten? Wissenschaftlern im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und im Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin* (HI-STEM) endeckten nun an Mäusen, dass Zellen in der so genannten „Stammzell-Nische“ dafür verantwortlich sind: Blutgefäßzellen der Nische produzieren einen Faktor, der Blutstammzellen stimuliert und damit ihr Selbsterneuerungspotenzial aufrechterhält. Mit den Jahren versiegt die Produktion dieses Faktors und die Blutstammzellen beginnen zu altern.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Während des gesamten Lebens sorgen Blutstammzellen im Knochenmark dafür, dass unser Körper ausreichend mit ausgereiften Blutzellen versorgt wird. Besteht gerade kein aktueller Bedarf an Zell-Nachschub, so verharren die Blutstammzellen in einem tiefen Schlaf um sich vor Schädigungen im Erbgut zu schützen, die zu Krebs führen können. Blutverlust, Infektionen und Entzündungen wirken wie ein Wecker: Unverzüglich beginnen die Blutstammzellen mit der Zellteilung und produzieren Nachschub – etwa, um Immunzellen für die Virenabwehr bereitzustellen oder um einen Verlust an roten Blutkörperchen oder Blutplättchen auszugleichen. Bei jeder Zellteilung regenerieren sich die Stammzellen immer auch selbst, damit der Stammzellpool erhalten bleibt. Dies bezeichnen Wissenschaftler als Selbsterneuerung.

„Der Schlafzustand ist die Voraussetzung für diese einzigartige Fähigkeit der Stammzellen“, erklärt Andreas Trumpp, Stammzellforscher vom DKFZ und HI-STEM. Die fast unbegrenzte Selbsterneuerungsfähigkeit gilt als zentrale Eigenschaft der sehr seltenen Stammzellen, die für Erhaltung und Reparatur von Geweben und Organen eine zentrale Rolle spielen. Krebszellen besitzen diese Fähigkeit jedoch auch. Sie stammen entweder direkt von Stammzellen ab oder erwerben diese Fähigkeit durch genetische Veränderungen. „Ohne Selbsterneuerung kein Krebs“, bringt es Trumpp auf den Punkt.

Ein Forscherteam um Andreas Trumpp wollte nun herausfinden, welche molekularen Signale die Selbsterneuerungsfähigkeit steuern. Bei ihren aktuellen Analysen entdeckten sie an Mäusen, dass schlafende Blutstammzellen große Mengen des Rezeptorproteins Neogenin-1 (Neo-1) auf ihrer Oberfläche tragen. Andere Blutzellen dagegen produzieren diesen Rezeptor nicht. Bei weiteren Untersuchungen entpuppte sich Neo-1 als Schlüsselmolekül für die Selbsterneuerung: Schalteten die Forscher den Rezeptor in Mäusen genetisch aus, schliefen die Stammzellen nicht mehr, verloren damit ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung und das blutbildende System der Tiere erschöpfte sich vorzeitig.

Bei Neo-1 handelt es sich um einen Rezeptor, über den die Stammzelle externe Signale empfangen kann. Doch woher kommen diese wichtigen Signale, die für die Selbsterneuerungsfähigkeit essentiell sind? Die Forscher identifizierten das Signalmolekül Netrin-1 als Bindungspartner und Aktivator des Neo-1 Rezeptor. Netrin-1 wird von den Endothelzellen gebildet, die die feinen Blutgefäße im Knochenmark auskleiden. „Wir haben Netrin-1 in der Stammzell-Nische des Knochenmarks der Mäuse genetisch ausgeschaltet. Die Blutstammzellen verloren daraufhin die Selbsterneuerungsfähigkeit. Bei einer experimentellen Steigerung der Netrin-1-Produktion dagegen schliefen sie umso tiefer“, sagt Simon Renders, der Erstautor der Studie.

Die Strukturen in der direkten Nachbarschaft der Stammzellen bezeichnen Wissenschaftler als Stammzell-Nische. Die Nische kann aus zellulären und nicht-zellulären Komponenten bestehen und übt großen Einfluss auf die Funktionen und das Schicksal der Blutstammzellen aus. Auch die Netrin-1-tragenden Zellen der Blutkapillaren sind Bestandteil der Nische. „Unsere Ergebnisse bestätigen erneut die zentrale Rolle der Stammzellnische für die Funktion der Stammzellen und damit für die Regenerationsfähigkeit und die Gesundheit unseres Körpers“, erklärt Trumpp.

Auch die altersbedingte Erschöpfung des blutbildenden Systems ließ sich an den Tieren nachvollziehen: Im Alter verändert das Knochenmark seine Struktur, insbesondere die winzigen Arterien degenerieren. An älteren Mäusen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass dies mit einem Verlust von Netrin-1 einhergeht. Die Blutstammzellen versuchen zunächst, diesen Mangel ihres wichtigen Signalgebers durch eine gesteigerte Neo-1-Bildung zu kompensieren. Doch mit steigendendem Lebensalter reicht diese Kompensation nicht mehr aus, das blutbildende System verliert zunehmend seine Selbsterneuerungsfähigkeit. Resultat dieser Veränderungen ist ein im Alter zunehmend schwächeres Immunsystem.

*Das Heidelberger Institut für Stammzellforschung und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership von DKFZ und Dietmar Hopp Stiftung gegründet.

Simon Renders, Arthur Flohr Svendsen, Jasper Panten, Nicolas Rama, Maria Maryanovich , Pia Sommerkamp, Luisa Ladel, Anna Rita Redavid, Benjamin Gibert, Seka Lazare, Benjamin Ducarouge, Katharina Schönberger, Andreas Narr, Manon Tourbez, Bertien Dethmers-Ausema, Erik Zwart, Agnes Hotz-Wagenblatt, Dachuan Zhang, Claudia Korn, Petra Zeisberger, Adriana Przybylla, Markus Sohn, Simon Mendez-Ferrer, Mathias Heikenwälder, Maik Brune, Daniel Klimmeck, Leonid Bystrykh, Paul S. Frenette, Patrick Mehlen, Gerald de Haan , Nina Cabezas-Wallscheid & Andreas Trumpp: Niche derived netrin-1 regulates hematopoietic stem cell dormancy via its receptor neogenin-1

Nature Communications 2021; DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-020-20801-0

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW