Wie Botenstoffe die individuelle Entscheidungsfindung beeinflussen



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10.02.2021 11:00

Wie Botenstoffe die individuelle Entscheidungsfindung beeinflussen

Psychologie: Veröffentlichung in Nature Communications

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Ein Forschungsteam aus Psychologinnen, Psychologen und Physikern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat die neurobiologischen Prozesse bei verschiedenen Formen der Entscheidungsfindung untersucht. Sie berichten in der Fachzeitschrift Nature Communications, dass ein unterschiedliches Verhältnis zweier Botenstoffe kurzfristige und langfristig-strategische Entscheidungen verschieden beeinflusst.

Unterschiedliche Gehirnareale, darauf deuten andere Studien hin, sind für andere Formen von Entscheidungen zuständig. Ein Forschungsteam um Luca Franziska Kaiser und Prof. Dr. Gerhard Jocham aus der HHU-Arbeitsgruppe ‚Biologische Psychologie des Entscheidungsverhaltens‘ und Dr. Theo Gruendler mit seinen Magdeburger Kollegen hat die Balance der Botenstoffe GABA und Glutamat bei zwei Formen von Entscheidungen analysiert. Im Hintergrund stand die Frage, wie unterschiedliche Konzentrationen dieser Stoffe den jeweiligen Menschen prägen.

Zum einen betrachteten sie ‚belohnungsbasierte Entscheidungen‘, also solche, bei denen zwischen zwei aktuell vorliegenden Optionen diejenige gewählt wird, die die höchste Belohnung verspricht. Luca Kaiser nennt ein einfaches Beispiel: „Welchen Cappuccino kaufe ich auf dem Weg zur Arbeit, abhängig von dessen Preis, Qualität und Umweg zum Café?“ Frühere Ergebnisse legen nahe, dass solche Entscheidungsprozesse im Gehirn vor allem im ventromedialen Präfrontalkortex (vmPFC) verarbeitet werden.

Bei ‚Patch-leaving-Entscheidungen‘ geht es um langfristige, strategische Fragen, die eine umfangreiche Kosten-Nutzen-Abwägung beinhalten. Beispielsweise, ob man wegen eines Jobangebots von Düsseldorf nach München ziehen soll. Prof. Jocham: „In München locken eventuell ein höheres Gehalt und spannendere Aufgaben, dem gegenüber stehen Stress und Aufwand bei Wohnungssuche und Umzug nach München, höhere Mieten und der Verlust von sozialen Kontakten in Düsseldorf.“ Viele Faktoren beeinflussen also diese Entscheidungsform, die – so die Literatur – im Gehirn im dorsalen anterioren zingulären Kortex, kurz dACC, getroffen werden.

Zentralen Einfluss haben die beiden Botenstoffe Glutamat und GABA; ihr Verhältnis steht für die sogenannte E/I-Balance zwischen erregender und hemmender Übertragungsaktivität. Bei verschiedenen Probanden maßen die Forscher mittels Magnetresonanzspektroskopie die Konzentrationen von GABA und Glutamat in verschiedenen Hirnregionen.

Mit diesen Daten setzte das Team dann das Verhältnis der beiden Botenstoffe mit dem individuellen Entscheidungsverhalten der Probanden in Beziehung. Beim Patch-leaving-Szenario verließen Probanden mit höherem Verhältnis von GABA zu Glutamat im dACC schneller ein schlechter werdendes Habitat. Dagegen bedurften Personen mit höherer Glutamatkonzentration einer größeren Qualitätsverbesserung, bevor sie entschieden, ihren aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen.

Im anderen betrachteten Szenario hatten Probanden mit einer im Verhältnis höheren GABA-Konzentration im vmPFC eine deutlich höhere Entscheidungsgenauigkeit: Sie wählten zuverlässiger die Option mit dem höheren Belohnungswert.

Luca Kaiser: „Unsere Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang des Entscheidungsverhaltens mit der Balance zweier Botenstoffe im Gehirn. Menschen mit einem höheren Verhältnis von Erregung zu Hemmung im dACC benötigen mehr Anreiz, um sich von ihrem Status quo zu lösen. Menschen mit mehr GABA im vmPFC zeigen dagegen bei kurzfristigen Entscheidungen eine höhere Genauigkeit.“


Originalpublikation:

Kaiser LF, Gruendler TOJ, Speck O, Luettgau L, Jocham G (2021) Dissociable roles of cortical excitation-inhibition balance during patch-leaving versus value-guided decisions, Nature Communications

DOI: 10.1038/S41467-020-20875-W


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW