Teilen:
04.12.2025 15:04
Astroteilchenphysik: Neuen Geisterteilchen auf der Spur
Mit dem internationalen KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) suchen Forschende nach der Masse von Neutrinos – also nach sehr leichten, elektrisch neutralen Elementarteilchen. Weil sie so schwer nachweisbar sind, werden sie auch Geisterteilchen genannt. Mit höchster Präzision haben die Forschenden nun nach einem vierten Neutrino-Typ gesucht – und dabei neue Grenzen für die Physik dieser Teilchen gesetzt. Die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature (DOI: 10.1038/s41586-025-09739-9).
Neutrinos zählen zu den häufigsten Teilchen im Universum, sie sind aber extrem schwer nachzuweisen. Das Standardmodell der Teilchenphysik kennt drei Typen. Durch Neutrino-Oszillationen wurde nachgewiesen, dass sie eine Masse haben und sich ineinander umwandeln. Seit Jahren deuten jedoch rätselhafte experimentelle Anomalien auf die Existenz eines vierten Typs hin – eines sterilen Neutrinos, das noch schwächer mit Materie wechselwirkt. Dessen Nachweis würde das Verständnis der Teilchenphysik grundlegend verändern.
Das KATRIN-Experiment, das Forschende am KIT zur Bestimmung der Neutrinomasse betreiben, hat nun einen wichtigen Beitrag zur Suche nach neuer Physik jenseits des Standardmodells geleistet. In einer aktuellen Studie zeigt die KATRIN-Kollaboration, dass sich die Eigenschaften dieser sterilen Neutrinos weiter einschränken lassen. Ein entsprechendes Signal haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht gefunden. Damit werden frühere Hinweise auf dieses Teilchen aus anderen Experimenten deutlich relativiert.
Kein Hinweis auf sterile Neutrinos – frühere Anomalien widerlegt
„Unser neues Ergebnis ist vollständig komplementär zu Reaktorexperimenten wie STEREO“, erklärt Dr. Thierry Lasserre vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, der die Analyse leitete. „Reaktorexperimente sind besonders empfindlich für geringe Massendifferenzen. KATRIN untersucht jedoch einen bedeutend breiteren Bereich – von der niedrigen Massenquadrat-Skala der bekannten Neutrinomassen-Obergrenze bis hin zu Werten, die einige hundertmal größer sind. Gemeinsam schließen beide Ansätze nun leichte sterile Neutrinos aus, die sich in die bekannten Neutrinotypen umwandeln könnten.“
Das KATRIN-Experiment untersucht den β-Zerfall von Tritium. Dabei wird das Energiespektrum der entstehenden Elektronen gemessen, das durch die Neutrinomasse verändert wird. Ein zusätzliches Neutrino würde eine weitere charakteristische Verzerrung – eine Art Knick – im Spektrum verursachen. „In den dieser Analyse zugrunde liegenden Messkampagnen haben wir über 36 Millionen Elektronen registriert und das gemessene Spektrum mit theoretischen Modellen verglichen. Einen Hinweis auf sterile Neutrinos konnten wir dabei nicht finden“, sagt Professorin Kathrin Valerius vom Institut für Astroteilchenphysik des KIT, Co-Sprecherin der KATRIN-Kollaboration. „Damit können wir einen großen Parameterbereich ausschließen, den frühere Anomalien in Reaktor-Neutrino- und Gallium-Quellen-Experimenten nahegelegt haben. Auch die Ergebnisse des Neutrino-4-Experiments konnten wir widerlegen.“
Mit einem hohen Signal-Rausch-Verhältnis, das sicherstellt, dass fast alle detektierten Elektronen aus dem Tritium-β-Zerfall stammen, erreicht KATRIN eine sehr saubere Messung der Spektralform. Im Gegensatz zu Oszillationsexperimenten, die untersuchen, wie sich Neutrinos nach einer gewissen Strecke in ihrem Zustand ändern, untersucht KATRIN die Energieverteilung am Entstehungsort. Beide Ansätze ergänzen sich und liefern gemeinsam einen starken Test, der die Existenz leichter steriler Neutrinos praktisch ausschließt.
Ausblick: Mehr Daten, neue Technik, größere Reichweite
Die Datenerfassung bei KATRIN läuft noch bis Ende dieses Jahres. „Bis dahin haben wir über 220 Millionen Elektronen im relevanten Bereich aufgezeichnet“, so Valerius. „Das verbessert die Statistik um mehr als den Faktor sechs und erlaubt noch präzisere Aussagen.“
Ab 2026 wird KATRIN mit dem neuen TRISTAN-Detektor erweitert. Dieser kann das gesamte Spektrum direkt messen und erweitert die Suche auf höhere sterile Neutrino-Massen. „Das neue Setup wird ein Fenster in den keV-Massenbereich öffnen, in dem sterile Neutrinos möglicherweise sogar die Dunkle Materie des Universums bilden“, sagt Co-Sprecherin Dr. Susanne Mertens, Direktorin vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. (jho)
Originalpublikation
T. Lasserre et al.: Sterile-neutrino search based on 259 days of KATRIN data. Nature, 2025. DOI: 10.1038/s41586-025-09739-9.
Weitere Informationen zu KATRIN: https://www.katrin.kit.edu/deutsch/index.php
Details zum KIT-Zentrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik: https://www.kceta.kit.edu/
Im Dialog mit der Gesellschaft entwickelt das KIT Lösungen für große Herausforderungen – von Klimawandel, Energiewende und nachhaltigem Umgang mit natürlichen Ressourcen bis hin zu Künstlicher Intelligenz, technologischer Souveränität und demografischem Wandel. Als Die Universität in der Helmholtz-Gemeinschaft vereint das KIT wissenschaftliche Exzellenz vom Erkenntnisgewinn bis zur Anwendungsorientierung unter einem Dach – und ist damit in einer einzigartigen Position, diese Transformation voranzutreiben. Damit bietet das KIT als Exzellenzuniversität seinen mehr als 10 000 Mitarbeitenden sowie seinen 22 800 Studierenden herausragende Möglichkeiten, eine nachhaltige und resiliente Zukunft zu gestalten. KIT – Science for Impact.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Joachim Hoffmann, Pressereferent, Tel.: +49 721 608-41151, E-Mail: joachim.hoffmann@kit.edu
Originalpublikation:
T. Lasserre et al.: Sterile-neutrino search based on 259 days of KATRIN data. Nature, 2025. DOI: 10.1038/s41586-025-09739-9.
Weitere Informationen:
https://www.katrin.kit.edu/deutsch/index.php Weitere Informationen zu KATRIN:
https://www.kceta.kit.edu/
https://Details zum KIT-Zentrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik:
Bilder
Eingang in den Innenraum des Hauptspektrometers von KATRIN während der Aufbauphase. (Foto: Markus Br …
Quelle: Markus Breig, KIT
Copyright: Markus Breig, KIT
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


