Kristallgitter auf Distanz



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07.03.2025 10:00

Kristallgitter auf Distanz

Forschende der ETH Zürich haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Elektronen-Wechselwirkungen in einem Material leichter untersuchen lassen. Dazu erzeugen sie mit Hilfe eines Moiré-Materials aus verdrehten Atomschichten in benachbartem Material ein künstliches Kristallgitter.

Um die Wechselwirkungen zwischen den Elektronen in einem Material zu untersuchen, haben sich Physiker:innen über die Jahre einiges einfallen lassen. Interessant sind diese Wechselwirkungen unter anderem, weil sie zu technologisch wichtigen Phänomenen wie zum Beispiel Supraleitung führen. In den meisten Materialien allerdings sind Elektronen-Wechselwirkungen sehr schwach und daher kaum nachweisbar. Einer der Tricks, den Forschende seit einiger Zeit anwenden, besteht darin, die Bewegungsenergie der Elektronen durch ein künstlich hergestelltes Kristallgitter mit grosser Gitterkonstante – also grossem Abstand zwischen den Gitterplätzen im Kristall – zu verringern. Dadurch wird die immer noch geringe Wechselwirkungsenergie relativ gesehen wichtiger, sodass Wechselwirkungseffekte sichtbar werden.

Die dazu verwendeten so genannten Moiré-Materialien haben allerdings den Nachteil, dass in ihnen nicht nur die Bewegung der Elektronen gegenüber einem normalen Kristallgitter stark beeinflusst wird, sondern auch andere physikalische Prozesse, die für die Untersuchung des Materials benötigt werden. Forschende um Ataç Imamoğlu am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem mit Hilfe eines angrenzenden Moiré-Materials auf Distanz in einem Halbleiter ein räumlich periodisches elektrisches Feld erzeugt werden kann, welches nur die Bewegung der Elektronen im Halbleitermaterial beeinflusst. Die Technik, die soeben im Fachjournal Physical Review X veröffentlicht wurde, wird es in Zukunft möglich machen, Elektronen-Wechselwirkungen in verschiedenen Materialien leichter zu studieren.

Verdrehte Kristallgitter

Moiré-Materialien stellt man her, indem man zwei nur ein Atom dicke Schichten eines Materials einzeln ablöst, leicht gegeneinander verdreht und dann wieder zusammenfügt. übereinanderliegen, kommt es zu einer Art Schwebungseffekt: Wie bei zwei Schallwellen mit leicht unterschiedlichen Frequenzen, die zu einem langsamen rhythmischen An- und Abschwellen der Lautstärke führen, entsteht in den verdrehten Kristallgittern ein «Übergitter» mit viel grösserer Gitterkonstante, in dem sich die Elektronen bewegen.
«Bei unserer neuen Technik stellen wir ebenfalls ein Moiré-Material her, verwenden es aber auf ganz andere Weise», sagt Natasha Kiper, Doktorandin in Imamoğlus Arbeitsgruppe. Kiper und ihre Kolleg:innen benutzen dazu zwei Schichten von hexagonalem Bornitrid (ein künstlich synthetisierter Festkörper, der fast so hart ist wie Diamant), die gegeneinander um weniger als 2 Grad verdreht sind. Durch diese Verdrehung entsteht ein periodisches elektrisches Feld, das über das Material hinaus auch auf Distanz wirkt. Unter das verdrehte Bornitrid platzieren die Forschenden eine atomare Schicht des Halbleiters Molybdändiselenid, auf dessen Elektronen das elektrische Feld wirkt und so ein künstliches Kristallgitter erzeugt.

Nachweis mit Exzitonen

«Das hat den grossen Vorteil, dass das elektrische Feld nur auf die Elektronen im Molybdändiselenid wirkt, nicht aber auf neutrale Exzitonen», sagt Kiper. Exzitonen brauchen die Forschenden zur Untersuchung der Elektronen. Sie entstehen, wenn ein Elektron im Material durch Licht einer bestimmten Frequenz angeregt wird. Dadurch steigt das Elektron in ein höheres Energieniveau auf und hinterlässt im niedrigeren Energieniveau eine Fehlstelle, auch Loch genannt. Das negativ geladene Elektron und das positiv geladene Loch ziehen sich dann gegenseitig an und bilden als Paar das elektrisch neutrale Exziton.

Aus der Lichtfrequenz, bei der Exzitonen angeregt werden, konnten die Forschenden Rückschlüsse auf das Verhalten der Elektronen ziehen. Sie veränderten durch Anlegen einer elektrischen Spannung die Zahl der Elektronen im Halbleiter und konnten mit Hilfe der Exziton-Anregungsfrequenz zum Beispiel nachweisen, dass bei einer Füllung von einem oder zwei Dritteln der Gitterplätze mit Elektronen sich diese in einem regelmässigen Muster anordneten. Wurde die Elektronenzahl so weit erhöht, dass mehr als ein Elektron einen Gitterplatz besetzte, so führte die Elektronen-Wechselwirkung zu einer deutlich sichtbaren Veränderung des Elektronenzustands. Solche Einblicke in die Auswirkungen von starken Wechselwirkungen helfen Physiker:innen beispielsweise dabei zu verstehen, wie bestimme elektrische Isolatoren durch Hinzufügen von überschüssigen Elektronen zu Supraleitern werden können.

Auf verschiedene Materialien anwendbar

«Unsere neue Technik ist auch deshalb sehr spannend, weil sie gut kontrollierbar ist und im Prinzip auch auf viele andere Materialen angewendet werden kann», sagt Imamoğlu. Durch das Einfügen von zusätzlichen Materialschichten kann die Stärke des periodischen elektrischen Feldes verändert werden.

Zudem könnten in Zukunft auch Prozesse untersucht werden, bei denen Elektronen sich zwischen zwei Schichten bewegen. Zusätzlich zum Spin, der angibt, in welche Richtung die „Kompassnadel“ eines Elektrons ausgerichtet ist, hätte das Elektron dadurch auch noch einen Pseudo-Spin, der nach oben oder unten zeigt, je nachdem, in welcher Schicht es sich befindet. «Damit könnten exotische physikalische Prozesse wie so genannte chirale Spinflüssigkeiten studiert werden, die bisher noch nie im Experiment beobachtet wurden», erklärt Imamoğlu.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Atac Imamoglu
iatac@ethz.ch
ETH Zürich


Originalpublikation:

Kiper N, Adlong HS, Christianen A, Kroner M, Watanabe K, Taniguchi T, Imamoğlu A. Confined Trions and Mott-Wigner States in a Purely Electrostatic Moiré Potential, Physical Review X, 5. März 2025, DOI: Seite10.1103/PhysRevX.15.011049


Weitere Informationen:

https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/03/kristallgitter…


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW