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03.07.2025 10:58
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Multiresistente Darmbakterien: Verdrängung durch Nahrungskonkurrenz
HZI-Studie zeigt, wie multiresistente E. coli-Bakterien aus dem Darm entfernt werden können
Ist ein Darmbewohner wie das Bakterium Escherichia coli (kurz: E. coli) gegenüber einer Vielzahl an Antibiotika resistent, kann dies zu ernsten gesundheitlichen Problemen führen, wenn es in den Blutkreislauf gelangt. Wie könnten solche potenziell gefährlichen multiresistenten Bakterien erfolgreich aus dem Darm verbannt werden? Dieser Frage gingen Forschende des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit Forschenden der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in ihrer aktuellen Studie nach. Ihr Ansatz: Nahrungskonkurrenz. Aus mehr als 430 verschiedenen E. coli-Stämmen, die aus Stuhlproben von Spender:innen isoliert wurden, konnten sie einige ausmachen, die die multiresistenten E. coli-Stämme erfolgreich verdrängten. Ihre Ergebnisse stimmen die Wissenschaftler:innen optimistisch, dass ihr Forschungsansatz künftig dazu beitragen könnte, die Verbreitung multiresistenter Darmbakterien einzudämmen und gefährliche Infektionen zu verhindern. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Communications erschienen. Sie entstand mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).
Für unsere Gesundheit ist das Mikrobiom im Darm essenziell. Diese Gemeinschaft aus unterschiedlichsten Bakterien und anderen Mikroorganismen unterstützt die Verdauung und beeinflusst Stoffwechsel und Immunsystem. Ein Darmbewohner, der bei rund 90 Prozent der Menschen im Darm vorkommt, ist das Bakterium E. coli. „Es ist eine Art Nutznießer, der im Darm seine Nahrungsnische gefunden hat und sich dort dauerhaft ansiedeln kann“, erklärt Dr. Marie Wende von der Abteilung „Mikrobielle Immunregulation“ am HZI und Erstautorin der Studie. „Abgesehen von einigen Stämmen, die Magen-Darm-Infekte auslösen können, ist die Mehrzahl der E. coli-Stämme im Darm eigentlich harmlos. Gelangen E. coli-Bakterien jedoch in die Blutbahn, kann es gefährlich werden, da sie Organe schädigen oder zu einer Blutvergiftung führen können.“
Mit der Gabe von Antibiotika können solche Infektionen aber in der Regel wirksam bekämpft werden – sofern es sich nicht um sogenannte multiresistente E. coli-Bakterien handelt, die gegenüber einer Vielzahl von Antibiotika unempfindlich sind. „Infektionen mit multiresistenten E. coli-Bakterien führen weltweit zu rund 800.000 Toten jährlich. Das ist eine unglaublich hohe Zahl – hier besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Prof. Till Strowig, Leiter der HZI-Abteilung „Mikrobielle Immunregulation“ und Letztautor der Studie. „Im Darm schlummernde multiresistente E. coli-Bakterien sind ein Risiko, da es passieren kann, dass sie in den Blutkreislauf gelangen. Besonders gefährdet sind schwer oder chronisch Kranke sowie Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Gegen eine Infektion mit multiresistenten E. coli-Bakterien hilft dann als letzte Option im besten Fall noch ein Reserve-Antibiotikum.“ Doch Reserve-Antibiotika haben oftmals schwere Nebenwirkungen und sind nur begrenzt verfügbar.
Konkurrenz aus den eigenen Reihen
Sinnvoller und nachhaltiger wäre daher ein präventiver Ansatz, mit dem multiresistente E. coli-Bakterien aus dem Darm entfernt werden, bevor es überhaupt zu Komplikationen kommen kann. Und genau hier setzt die aktuelle Studie an. Dabei machten sich die Forschenden den im Darm herrschenden Konkurrenzdruck um Nahrungsressourcen zunutze. Sie schickten über 430 verschiedene E. coli-Stämme, die die Forschenden aus Stuhlproben gesunder Spender:innen isoliert hatten, ins Rennen – oder besser gesagt in eine Art „Wettessen“ – gegen einen multiresistenten E. coli-Stamm, der durch die Medizinische Mikrobiologie der MHH zur Verfügung gestellt wurde. In ihren umfangreichen Laborversuchen ließ das Forschungsteam jeweils einen der „normalen“ E. coli-Stämme gegen den multiresistenten Stamm antreten. Als Nahrungs- und Wachstumsmedium diente dabei Darminhalt steril gehaltener Mäuse. „Wir haben untersucht, ob und in welchem Ausmaß sich das Wachstum des multiresistenten Stamms in Gegenwart der jeweiligen anderen E. coli-Stämme verändert“, erklärt Wende. „Einige Stämme konnten das Wachstum des multiresistenten Stamms tatsächlich stark hemmen und waren offensichtlich in der Lage, ihm die Nahrungsgrundlage zu entziehen.“
Die vielversprechenden Nahrungskonkurrenz-Kandidaten haben die Forschenden in weiterführenden Untersuchungen im Mausmodell noch ein wenig näher unter die Lupe genommen. „Wir konnten zeigen, dass diese E. coli-Stämme auch im Darm von Mäusen in der Lage waren, den multiresistenten E. coli-Stamm erfolgreich einzudämmen“, sagt Wende. „Den wirksamsten Stamm testeten wir noch gegen einen weiteren multiresistenten Stamm. Den konnte er ebenso erfolgreich verdrängen.“
Gemeinsam noch stärker
Um das Ausmaß der Schutzwirkung der E. coli-Stämme weiter zu untersuchen, führten die Forschenden den gesamten zuvor genannten Versuchsablauf noch einmal durch. Jedoch testeten sie diesmal die drei erfolgreichsten E. coli-Stämme gegen ein großes Spektrum multiresistenter E. coli-Stämme. Und sie nahmen noch einen weiteren Mitstreiter auf: das Darmbakterium Klebsiella oxytoca, das ähnliche, aber nicht identische Nahrungsvorlieben wie E. coli hat. „Unsere Hypothese war, dass die Kombination aus zwei verschiedenen Bakterienstämmen die Schutzwirkung gegenüber multiresistenten E. coli-Stämmen gegebenenfalls noch verbessern könnte“, erklärt Wende. „Und das war tatsächlich der Fall: Die Kombination aus schützenden E. coli und Klebsiella oxytoca erwies sich als äußerst wirksam gegen multiresistente E. coli-Stämme, die durch einzelne E. coli-Stämme nicht effizient verdrängt werden konnten. Durch die Kombination konnten sie im Mausmodell komplett eliminiert werden.“ Till Strowig: „Unsere Studie zeigt, dass spezifisch ausgewählte Bakterienstämme als Nahrungskonkurrenten in der Lage sind, multiresistente Erreger erfolgreich aus dem Darm zu verdrängen. Auf diese Weise könnten künftig gefährliche Infektionen bei vulnerablen Patientengruppen vermieden und auch die weitere Verbreitung multiresistenter Darmbakterien eingedämmt werden.“
In weiterführenden Untersuchungen wollen die Forschenden die E. coli-Stämme, die besonders wirksam multiresistente E. coli-Stämme verdrängen konnten, im Detail charakterisieren. Sind sie ungefährlich oder scheiden sie für den Menschen schädliche Giftstoffe aus? Werden sie durch das Immunsystem erkannt, oder können sie leicht entwischen? Verändert sich ihre Wirkung gegen multiresistente Erreger in Gegenwart anderer Bakterien des Mikrobioms? Und: Werden sie womöglich leicht selbst resistent gegenüber Antibiotika? Till Strowig: „Diesen Fragen wollen wir umfassend nachgehen. Bis ausgewählte E. coli-Stämme als Nahrungskonkurrenten präventiv oder therapeutisch gegen multiresistente E. coli-Stämme eingesetzt werden können, ist noch einiges an Forschungsarbeit notwendig.“
Diese Pressemitteilung und Bildmaterial finden Sie auch auf unserer Homepage unter https://www.helmholtz-hzi.de/media-center/newsroom/news-detailseite/multiresiste…
Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. https://www.helmholtz-hzi.de
Ihre Ansprechpersonen am HZI:
Susanne Thiele, Pressesprecherin
susanne.thiele@helmholtz-hzi.de
Dr. Charlotte Schwenner, Wissenschaftsredakteurin
charlotte.schwenner@helmholtz-hzi.de
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH
Presse und Kommunikation
Inhoffenstraße 7
D-38124 Braunschweig
Tel.: 0531 6181-1400; -1406
Originalpublikation:
Wende, M., Osbelt, L., Eisenhard, L. et al. Suppression of gut colonization by multidrug-resistant Escherichia coli clinical isolates through cooperative niche exclusion. Nat Commun 16, 5426 (2025). DOI: 10.1038/s41467-025-61327-7 https://doi.org/10.1038/s41467-025-61327-7
Bilder
Elektronenmikroskopische Aufnahme des E. coli-Stamms, der multiresistente E. coli-Stämme verdrängen …
Copyright: HZI/Mathias Müsken
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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