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28.10.2024 08:06
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Alzheimer-Forschung: Superspreader-Fasern in Aktion beobachtet
Bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer reichern sich falsch gefaltete Eiweisse im Gehirn an. Empa-Forscher haben nun eine besonders aktive Spezies von Eiweissfasern in bisher ungekannter Präzision nachgewiesen. Sie konnten den Entstehungsprozess von potentiell toxischen Molekülen an der Oberfläche der Fasern über Stunden unter dem Mikroskop verfolgen. Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden kürzlich im Fachmagazin Science Advances.
Die Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist noch immer eine der grossen Herausforderungen der modernen Medizin. Im Verlauf der neurodegenerativen Erkrankungen häufen sich Eiweisse wie das Amyloid β-Protein im Gehirn an. Sie werden verdächtigt, mit der Krankheitsentstehung zusammenzuhängen, weswegen sie als vielversprechendes Ziel für neue Therapieansätze gelten.
Bekannt ist bereits, dass die falsch gefalteten Proteine sich zu faserartigen Strukturen verklumpen. Wie diese Fibrillen entstehen, ist allerdings noch nicht gänzlich geklärt. Jetzt konnte ein Team um Empa-Forscher Peter Nirmalraj vom «Transport at Nanoscale Interfaces»-Labor in Dübendorf gemeinsam mit Wissenschaftlern der irischen «University of Limerick» mit einer besonders leistungsfähigen Bildgebungstechnik zeigen, wie der Vorgang abläuft. Das Besondere daran: Einige der Nanometer-dünnen Fibrillen sorgen offenbar für die Verbreitung der Krankheit im Gehirngewebe und werden daher als «Superspreader» bezeichnet. Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden kürzlich im Fachmagazin «Science Advances».
Toxische Subspezies
Die besondere Subspezies der Eiweissfibrillen fiel den Forschenden wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften auf: Die Kanten und die Oberfläche der sogenannten Superspreader-Fibrillen zeigen eine besonders hohe katalytische Aktivität. An diesen hochaktiven Stellen lagern sich neue Eiweissbausteine an. In der Folge bilden sich von diesen Keimstellen aus neue, langkettige Fibrillen. Die Forschenden gehen davon aus, dass sich diese Fibrillen der zweiten Generation schliesslich ausbreiten und neue Aggregate im Gehirn bilden.
Zwar ist die chemische Zusammensetzung des falsch gefalteten Amyloid β-Proteins bekannt. Der Mechanismus, wie sich Eiweissbausteine zu Fibrillen der zweiten Generation zusammenfinden, sowie ihre Form und Struktur waren bisher indes unklar. «Mit herkömmlichen Methoden, die beispielsweise auf Färbetechniken beruhen, werden die Form und weitere Eigenschaften von Proteinen möglicherweise verändert, so dass sie sich nicht in ihrer natürlichen Form analysieren lassen», sagt Nirmalraj.
Ungekannte Präzision
Die Technik, die von den Forschenden in der neuen Studie eingesetzt wurde, unterscheidet sich in diesem Punkt von herkömmlichen Methoden: Die Proteine werden dabei unverändert in einer Salzlösung bei Raumtemperatur analysiert, was den physiologischen Bedingungen im menschlichen Körper sehr viel näherkommt. Mit dem hochauflösenden Rasterkraftmikroskop können die weniger als zehn Nanometer dünnen Fibrillen in bisher ungekannter Präzision abgelichtet werden. Die Forschenden konnten den Prozess der Fibrillenbildung in Echtzeit verfolgen, und zwar von den ersten Augenblicken bis über die folgenden 250 Stunden. Im Anschluss wurden die Analysen mit molekularen Modellrechnungen abgeglichen und ergänzt. So konnten die Fibrillen aufgrund ihrer Oberflächenstrukturen in Subpopulationen wie beispielsweise «Superspreader» klassifiziert werden. «Damit sind wir einen weiteren Schritt näher daran, zu verstehen, wie sich diese Eiweisse bei Demenzerkrankungen im Gehirn verbreiten», so Empa-Forscher Nirmalraj. Er hofft, dass sich hieraus schliesslich neue Verfahren ableiten lassen, mit denen Demenzerkrankungen besser erkannt und überwacht werden können.
Die Studie wurde von der «Demenzforschung Schweiz – Stiftung Synapsis» finanziert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Peter Nirmalraj, Empa
Transport at Nanoscale Interfaces
Tel. +41 58 765 42 61
peter.nirmalraj@empa.ch
Originalpublikation:
PN Nirmalraj, S Bhattacharya, D Thompson; Accelerated Alzheimer’s Aβ-42 secondary nucleation chronologically visualized on fibril surfaces; Science Advances (2024); DOI: 10.1126/sciadv.adp5059 https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adp5059
Bilder
Verdächtige Eiweissbausteine und –fibrillen sammeln sich bei Demenzerkrankungen an Nervenzellen an.
Empa
Hochaktive Eiweissstrukturen unter dem Rasterkraftmikroskop: Helle Bereiche zeigen die besonders hoh …
Empa
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch