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28.05.2025 11:33
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Darmbakterien beeinflussen Alterung der Blutgefässe
Die Alterung der innersten Zellschicht von Blutgefässen führt zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nun konnten Forschende der UZH erstmals nachweisen, dass Darmbakterien und deren Stoffwechselprodukte direkt zur Gefässalterung beitragen. Im Alter verändert sich die Bakterienzusammensetzung im Darm so, dass weniger «verjüngende» und mehr schädliche Substanzen im Körper zirkulieren.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten als weltweit häufigste Todesursache. Selbst wenn klassische Risikofaktoren wie Diabetes oder Bluthochdruck behandelt werden, verschlimmert sich die Krankheit in der Hälfte aller Fälle – insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten. Nun konnten Forschende der UZH erstmals nachweisen, dass Darmbakterien und deren Stoffwechselprodukte Blutgefässe schneller altern lassen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen können.
Phenylessigsäure löst Zellalterung aus
30 bis 100 Billionen Bakterien besiedeln die verschiedenen Organe des menschlichen Körpers. Neunzig Prozent davon leben im Darm und verarbeiten die zugeführte Nahrung zu Stoffwechselprodukten, die wiederum unsere Körper beeinflussen. «Von der Hälfte dieser Stoffe kennen wir weder die chemische Struktur noch die Funktion», sagt Soheil Saeedi. Seine Forschungsgruppe am Center for Translational and Experimental Cardiology des Universitätsspitals und der Universität Zürich untersucht, wie sich die Zusammensetzung des Mikrobioms im Alter verändert und ob das Herzkreislaufsystem dadurch beeinträchtigt wird.
Anhand der Daten von 7303 gesunder Personen zwischen 18 und 95 Jahren und entsprechenden Mausmodellen stellten die Forschenden fest, dass sich im Alter das Abbauprodukt der Aminosäure Phenylalanin – die sogenannte Phenylessigsäure – anhäuft. In mehreren Experimentreihen konnte Saeedis Team nachweisen, dass Phenylessigsäure zur Zellalterung der Endothelzellen führt, welche die Blutgefässe innen auskleiden. Die Zellen vermehren sich nicht mehr und scheiden Entzündungsmoleküle aus. Die Gefässe versteifen zunehmend und ihre Funktion wird beeinträchtigt.
Verantwortliches Bakterium gefunden
Eine umfassende bioinformatische Analyse des Mikrobioms von Mäusen und Menschen führte die Forschenden schliesslich zum Bakterium Clostridium sp. ASF356, das Phenylalanin zu Phenylessigsäure verarbeiten kann. Besiedelten die Forschenden junge Mäuse mit diesem Bakterium, zeigten sie anschliessend erhöhte Phenylessigsäure-Werte sowie Zeichen der Gefässalterung. Wurden die Bakterien jedoch mit Antibiotika abgetötet, sank die Konzentration an Phenylessigsäure im Körper. «So konnten wir zeigen, dass die Darmbakterien für die erhöhten Werte verantwortlich sind», erklärt Saeedi.
Körpereigener Jungbrunnen
Das Mikrobiom im Darm produziert jedoch auch Stoffe, die für die Gesundheit der Blutgefässe von Vorteil sind. Kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, die durch Fermentation von Nahrungsfasern und Polysacchariden im Darm entstehen, wirken als natürliche Verjüngungsmittel. In In-vitro-Versuchen konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass die Zugabe von Natriumacetat die Funktion von gealterten Endothelzellen wiederherstellen kann. In der Analyse der Darmbakterien stellten sie fest, dass die Anzahl Bakterien, die solche Verjüngungsmittel produzieren, im Alter schwindet.
«Der Alterungsprozess des Herzkreislaufsystems lässt sich somit über das Mikrobiom regulieren», fasst Saeedi zusammen. Der Pharmakologe und sein Team untersuchen nun, welche Ernährung das komplexe Zusammenspiel zwischen Bakterien und Mensch positiv beeinflussen kann. Ballaststoffe und Nahrungsmittel mit antioxidativen und entzündungshemmenden Eigenschaften kurbeln den körpereigenen Jungbrunnen an. Der Verzehr von phenylalanin-reichen Lebensmitteln und Getränken wie rotem Fleisch, Milchprodukten und einigen künstlichen Süssstoffen sollte hingegen eingeschränkt werden, um die Gefäßalterung zu verlangsamen. Die Forschenden arbeiten zudem an Möglichkeiten zur medikamentösen Senkung von Phenylessigsäure im Körper. Erste Versuche, die Entstehung von Phenylessigsäure mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien einzudämmen waren vielversprechend.
Literatur
Seyed Soheil Saeedi Saravi, Benoit Pugin, Florentin Constancias et al. Gut microbiota-dependent increase in phenylacetic acid induces endothelial cell senescence during aging. Nature Aging. 12. Mai 2025. DOI: https://doi.org/10.1038/s43587-025-00864-8
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Kontakt
Dr. Soheil Saeedi
Center for Translational and Experimental Cardiology (CTEC)
Universität Zürich
+41 76 701 77 24
soheil.saeedi@uzh.ch
Originalpublikation:
Literatur
Seyed Soheil Saeedi Saravi, Benoit Pugin, Florentin Constancias et al. Gut microbiota-dependent increase in phenylacetic acid induces endothelial cell senescence during aging. Nature Aging. 12. Mai 2025. DOI: https://doi.org/10.1038/s43587-025-00864-8
Weitere Informationen:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2025/Darmbakterien.html
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
