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18.12.2024 11:19
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Darmkrebs: Rolle von Übergewicht bislang unterschätzt
Übergewicht erhöht das Darmkrebsrisiko. Wie sehr dieser vermeidbare Risikofaktor zu Buche schlägt, wurde bislang deutlich unterschätzt. Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben jetzt einen großen Datenpool neu analysiert und kommen zu dem Schluss, dass Übergewicht für einen Anteil von über 20 Prozent der Darmkrebserkrankungen verantwortlich ist.
Wissenschaftler gehen heute aufgrund vorliegender Studien davon aus, dass Übergewicht an der Entstehung von rund zehn Prozent der Darmkrebserkrankungen beteiligt ist. Hermann Brenner, Epidemiologe am DKFZ, vermutete jedoch seit langem, dass diese Schätzung zu niedrig ist. „Wir haben deshalb die Daten unserer großen DACHS Studie, einer der weltweit größten Darmkrebs-Studien, noch einmal unter die Lupe genommen – mit Blick auf mögliche Verzerrungen, die in anderen Studien nicht ausreichend berücksichtigt wurden.“
Alles auf dem Schirm?
Gemeint sind Verzerrungen von Studienergebnissen, die durch methodische Unschärfen entstehen können. Selbst bei guten Studien sind solche Unschärfen nicht hundertprozentig auszuschließen. Verzerrungen können einerseits dadurch zustande kommen, dass man den Parameter, dessen Einfluss in der Studie geprüft werden soll, nicht exakt genug definiert. Das betrifft in diesem Fall das Übergewicht. Andererseits gibt es oft Störeinflüsse, die mit den Studien-Parametern verknüpft sind. Beide Fehlerquellen sollten durch das Studiendesign und die statistische Aufbereitung der gewonnenen Daten weitestgehend minimiert werden.
Das jedoch war in bisherigen epidemiologischen Studien oft nur unzureichend der Fall. Wie Marko Mandic, Erstautor der DKFZ-Studie, erläutert, hat man bislang bei Standardanalysen drei relevante Fragen nicht ausreichend berücksichtigt:
• Haben Studienteilnehmer als Folge der Krebserkrankung womöglich schon vor der Diagnose abgenommen? Gewichtsverlust vor der Diagnose kommt bei Darmkrebspatienten häufig vor. Frühere Studien zum BMI und dem Auftreten von Darmkrebs haben daher wahrscheinlich das Ausmaß des Zusammenhangs unterschätzt.
• Haben Studienteilnehmer mit erhöhtem Risiko schon einmal eine Darmspiegelung durchführen lassen? Entdeckt der Arzt bei dieser Untersuchung Krebsvorstufen, so werden diese in aller Regel entfernt, was die Wahrscheinlichkeit für Darmkrebs senkt.
• Steigt das Darmkrebs-Risiko vielleicht schon unterhalb eines Body Mass Index (BMI) von 25 kg/m2, dem „offiziellen” Schwellenwert für Übergewicht, an? Da als biologischer Mechanismus hinter der Entwicklung von Darmkrebs die kontinuierliche Freisetzung von Wachstumsfaktoren, Hormonen und entzündungsfördernden Substanzen durch das Fettgewebe vermutet wird, ist es möglich, dass bei Personen mit einem BMI unter dem Grenzwert das Darmkrebsrisiko bereits steigt.
Gewichtiger Risikofaktor
Nur wer die richtigen Fragen stellt, kann die richtigen Antworten bekommen. Deshalb führten die DKFZ-Forscher zwei verschiedene Analysen des DACHS-Datenpools durch. „Im ersten Durchlauf sind wir so vorgegangen, wie es in bisherigen epidemiologischen Studien üblich war”, berichtet Marko Mandic. „Im zweiten Durchlauf dagegen haben wir mögliche Verzerrungen durch die drei Aspekte – Gewichtsverlust vor Diagnose, Darmspieglung im Vorfeld und Risikoanstieg bereits bei einem BMI unter 25 – sorgfältig herausgerechnet.”
Bei der konventionellen Analyse im ersten Durchlauf kam heraus: 11,5 % der Darmkrebserkrankungen gehen auf das Konto von Übergewicht, was landläufigen Schätzungen entspricht. Im zweiten Durchlauf – nach den sorgfältigen ergänzenden Korrekturen – stieg das Gewicht dieses Risikofaktors auf 23,4 %.
Großes Potenzial für Prävention
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass das Übergewicht einen zirka doppelt so großen Anteil an der Darmkrebsentstehung hat als bislang angenommen”, so Hermann Brenner. „Wir gehen davon aus, dass die Bedeutung des Übergewichts als Risikfaktor nicht nur mit Blick auf Darmkrebs bislang massiv unterschätzt wurde.” Übergewicht gilt auch als gesicherter Risikofaktor für andere Krebsarten wie zum Beispiel Brustkrebs. Angesichts der steigenden Zahlen von Übergewicht in der Bevölkerung unterstreicht Hermann Brenner die Notwendigkeit effektiver Präventionsstrategien. „Wir sprechen hier von hohen vermeidbaren Risiken und sollten die großen und bislang deutlich unterschätzten Potenziale der Krebsprävention in Zukunft viel mehr nutzen.”
Die DACHS-Studie ist eine bevölkerungsbasierte Fall-Kontroll-Studie. Die aktuelle Analyse basiert auf Daten von 7.098 Männern und Frauen mit Darmkrebs sowie 5.757 nicht erkrankten Kontrollpersonen vergleichbaren Alters und Geschlechts. Auch die Wohnorte stimmen weitgehend überein. Von allen Studienteilnehmern wurden umfangreiche Informationen zu potenziellen Darmkrebs-Risikofaktoren einschließlich des Körpergewichts in verschiedenen Lebensphasen erhoben.
Marko Mandic, Fatemeh Safizadeh, Michael Hoffmeister, Hermann Brenner: Overcoming underestimation of the share of colorectal cancer cases attributable to excess weight: a population-based study.
Obesity 2024, https://doi.org/10.1002/oby.24164
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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