Der Ein-Stunden-Blutzuckerwert als neuer Marker zur Diabetes-Prävention



Teilen: 

13.11.2025 08:00

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Der Ein-Stunden-Blutzuckerwert als neuer Marker zur Diabetes-Prävention

Ein erhöhter Blutzuckerwert eine Stunde nach dem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) signalisiert einen kritischen Stoffwechselzustand – noch vor dem Prädiabetes. Betroffene sprechen besonders gut auf Lebensstilinterventionen an. Der Wert könnte zu einem neuen klinisch relevanten Biomarker werden – und eine gezieltere, frühere Prävention des Typ-2-Diabetes ermöglichen. Zu dem Ergebnis kommt ein Team der Eberhard-Karls-Universittät Tübingen, von Helmholtz Munich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) jetzt in Metabolism.

Ein erhöhter Blutzuckerwert eine Stunde nach dem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) signalisiert einen kritischen Stoffwechselzustand – noch vor dem Prädiabetes. Betroffene sprechen besonders gut auf Lebensstilinterventionen an. Der Wert könnte zu einem neuen klinisch relevanten Biomarker werden – und eine gezieltere, frühere Prävention des Typ-2-Diabetes ermöglichen. Zu dem Ergebnis kommt ein Team der Eberhard-Karls-Universittät Tübingen, von Helmholtz Munich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) jetzt in Metabolism.

Prädiabetes gilt als Vorstufe des Typ-2-Diabetes. Doch nur etwa 20 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes erfüllten zuvor die gängigen Kriterien. Umgekehrt entwickelt sich bei über 40 Prozent der Menschen mit einem Prädiabetes nie ein Diabetes. Wie lassen sich Risikopersonen besser identifizieren und gezielter versorgen?

Ein genauerer Blick auf die Frühphase der Stoffwechselstörung
Um Antworten auf diese Frage zu finden, haben Forschende nach präziseren Markern gesucht. Besonders relevant erschien ihnen die Ein-Stunden-Plasmaglukosekonzentration (1h-PG) beim oralen Glukosetoleranztest (OGTT). Es handelt sich um den Blutzuckerwert, den Ärztinnen und Ärzte genau eine Stunde nach der Einnahme einer Glukoselösung bestimmen.

Ein Wert von ≥ 155 mg/dl gilt laut International Diabetes Federation (IDF) als früher Indikator einer gestörten Glukoseregulation – oft bevor der Nüchtern- oder Zwei-Stunden-Werte auffällig werden. Diese Messung könnte Chancen bieten, um gefährdete Personen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln, so die Hoffnung.

Lebensstil-Intervention mit deutlichem Effekt
Um ihre Hypothese zu überprüfen, haben Forschende im Rahmen des Tübinger Lebensstil-Interventionsprogramms (TULIP)* 317 Personen mit unterschiedlicher Glukosetoleranz neun Monate lang intensiv betreut. Ziel der Lebensstil-Intervention war ein Gewichtsverlust von mindestens fünf Prozent durch ausgewogene Ernährung und durch regelmäßige Bewegung.

Die Teilnehmenden wurden anhand von Stoffwechselparametern drei Gruppen zugeordnet:
• mit normaler Glukoseregulation,
• mit isoliert erhöhtem 1h-PG (anderen Werte, etwa der Nüchternzucker und 2h-PG waren noch normal),
• mit klassischer gestörter Glukoseregulation (Prädiabetes).

Bereits zu Beginn der Studie zeigte sich, dass Personen mit hohem 1h-PG-Wert metabolisch zwischen gesund und krank einzuordnen sind. Ihre Insulinsensitivität und ihre Betazellfunktion waren eingeschränkt und ihr Leber- und Bauchfett erhöht, allerdings noch reversibel.

Nach neun Monaten Intervention verbesserten sich die Insulinsensitivität und Betazellfunktion den Studienteilnehmenden deutlich. Sie erreichten nahezu das Niveau stoffwechselgesunder Menschen. Gleichzeitig normalisierte sich der Leberfettwert. In der Prädiabetes-Gruppe waren diese Verbesserungen deutlich geringer ausgeprägt.

Langfristiger Nutzen: 80 Prozent geringeres Risiko
Über einen Zeitraum von bis zu zwölf Jahren zeigte sich ein eindrucksvoller Effekt: Personen mit erhöhtem 1h-PG, die an der Intervention teilgenommen hatten, erkrankten zu 80 Prozent seltener an Typ-2-Diabetes als Menschen mit Prädiabetes. Fast die Hälfte erreichte sogar wieder normale Blutzuckerwerte (Normoglykämie) – doppelt so viele wie in der Prädiabetes-Gruppe.

Durch die Gewichtsreduktion und durch weniger Leberfett verbesserten sich sowohl die Insulinsensitivität als auch die Fähigkeit der Betazellen, auf Glukose zu reagieren. Diese Normalisierung zentraler Stoffwechselprozesse könnte entscheidend sein, um den Übergang in einen stabilen, gesunden Glukosestoffwechsel zu ermöglichen.

Neue Präventionsstrategie mit Potenzial für die Praxis
Der Ein-Stunden-Wert erwies sich dabei als der sensitivste Marker zur Früherkennung von Glukosetoleranzstörungen. Er war deutlich aussagekräftiger als der HbA1c-Wert, die Nüchtern- oder die Zwei-Stunden-Glukose. „Der Wert markiert offenbar den optimalen Zeitpunkt, um den Stoffwechsel noch zu normalisieren“, kommentiert Prof. Dr. Andreas Birkenfeld. Er ist Letztautor der Studie, DZD-Sprecher und Direktor des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen von Helmholtz Munich an der Universität Tübingen sowie ärztlicher Direktor der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie am Universitätsklinikum Tübingen.

Laut Birkenfeld ermögliche es der Test perspektivisch, gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und effektiv zu behandeln, lange bevor ein Prädiabetes diagnostiziert werde. Damit könne sich der 1h-PG als neuer, klinisch relevanter Biomarker etablieren.

Originalpublikation
Wang Y. et al.: Lifestyle intervention is more effective in high 1-hour post-load glucose than in prediabetes for restoring β-cell function, reducing ectopic fat, and preventing type 2 diabetes. Metabolism 2025; doi: 10.1016/j.metabol.2025.156430

*Über das Tübinger Lebensstil-Interventionsprogramm

Das Tübinger Lebensstil-Interventionsprogramm (TULIP) ist ein wissenschaftlich entwickeltes Programm der Universität Tübingen zur Prävention und Behandlung von Typ-2-Diabetes und Adipositas. Es wurde am Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) von Helmholtz Munich in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Klinik der Universität Tübingen entwickelt.
TULIP zielt darauf ab, durch gezielte Lebensstiländerungen – insbesondere gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität und Verhaltensanpassung – das Risiko für Stoffwechselerkrankungen zu senken oder bereits bestehende Störungen wie Insulinresistenz, Prädiabetes oder Fettleber zu verbessern.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andreas Birkenfeld
Medizinischer Direktor
Abteilung für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Diabetesforschung und Stoffwechselerkrankungen (IDM) von Helmholtz Munich an der Universität Tübingen
E-Mail: Andreas.birkenfeld@med.uni-tuebingen.de


Originalpublikation:

Wang Y. et al.: Lifestyle intervention is more effective in high 1-hour post-load glucose than in prediabetes for restoring β-cell function, reducing ectopic fat, and preventing type 2 diabetes. Metabolism 2025; doi: 10.1016/j.metabol.2025.156430


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW