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05.06.2025 13:45
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Es drohen irreversible Langzeitschäden“
Schleimiger Husten über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen? Nichts Ungewöhnliches bei Kindern, sollte man meinen. Und auch nichts, weswegen man sich Sorgen machen sollte? Doch, sagt Dr. Anne Schlegtendal, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Bochum. Kleinkinder, die an einer sogenannten protrahierten bakteriellen Bronchitis (PBB) erkranken, müssten entsprechend behandelt werden. „Wenn sie nicht mindestens zwei Wochen lang Antibiotika bekommen, drohen Langzeitschäden – im schlimmsten Fall eine irreversible chronische Lungenschädigung.“
Zu diesem Ergebnis kam das Bochumer Team durch eine Nachuntersuchung von Kindern, die im Kleinkindalter wegen Atemwegsinfektionen stationär aufgenommen worden waren. Die Studie ist in der Zeitschrift Pediatric Pulmonology vom 21. April 2025 veröffentlicht.
Auffällige Lungenfunktion Jahre später
„Wir haben insgesamt 200 Kinder mit PBB rückwirkend ausfindig gemacht und 63 von ihnen fünf bis 14 Jahre später zu einer erneuten Untersuchung sowie zu einem Lungenfunktionstest in die Kinderklinik eingeladen“, berichtet Anne Schlegtendal. „Darunter waren Kinder, die heute noch nachweislich dauerhaft husten.“ Betroffen seien nicht nur die Kinder, die nicht richtig behandelt worden seien: Man habe mit der Studie nachweisen können, dass es sogar trotz antibiotischer Therapie zu Langzeitschäden kommen könne. „Ein deutlicher Anteil der Kinder, die PBB im Kleinkindalter hatten, haben später eine auffällige Lungenfunktion“, warnt die Kinderpneumologin. „Leider ist die PBB unterdiagnostiziert, es gibt noch keine Leitlinie in Deutschland für die Behandlung und bisher auch keine Empfehlung, dass betroffene Kinder regelmäßige Nachuntersuchungen erhalten.“
Das wollen die Forschenden ändern. „Es geht uns darum, die Aufmerksamkeit mehr auf diese Erkrankung zu lenken, um somit die Kinder- und Jugendgesundheit zu stärken.“ Daher hat sich das Team mit der Idee eines digitalen Tools in Kinderarztpraxen beim Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verbesserung der Versorgung von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung beworben. „Unsere Idee ist es, mit einem digitalen Ampelsystem Kinder mit chronischem Husten und Risikofaktoren für Spätfolgen frühzeitiger zu identifizieren und zu behandeln“, erklärt Anne Schlegtendal. „Rot würde dann bedeuten: Sofort in die Klinik.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Anne Schlegtendal
Universitätskinderklinik Bochum
St. Josef Hospital
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 509 2631
E-Mail: anne.schlegtendal@klinikum-bochum.de
Webseite der Kinderklinik: https://www.klinikum-bochum.de/kinder-und-jugendmedizin/fachbereich.html
Originalpublikation:
Jan Hermann, Karen Brückner, Cordula Koerner‐Rettberg, Stefanie Dillenhöfer, Folke Brinkmann, Christoph Maier, Christoph M. Heyer, Anne Schlegtendal: Long‐Term Pulmonary Sequelae 5–14 Years After Protracted Bacterial Bronchitis in Early Childhood, in: Pediatric Pulmonology, 2025, DOI: 10.1002/ppul.71111, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ppul.71111
Bilder
Der Lungenfunktionstest zeigte bei einem Teil der Kinder auffällige Ergebnisse.
© KKB
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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