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06.03.2025 17:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Künstliche Muskeln zur Tremor-Unterdrückung
Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme, der Universität Tübingen und der Universität Stuttgart haben einen biorobotischen Arm entwickelt, der den Tremor einer Person, wie er z.B. bei Parkinson-Patienten auftritt, nachahmen kann. Künstliche Muskeln auf beiden Seiten des Unterarms kontrahieren und entspannen sich, um die unwillkürliche Bewegung des Handgelenks und der Hand zu unterdrücken. Das Team sieht seinen Roboterarm nicht nur als Plattform, um neue Exoskelett-Technologien auszuprobieren. Mit dem Arm können die Wissenschaftler*innen testen, wie gut ihre künstlichen Muskeln – als HASELs bekannt – eines Tages zu Bestandteilen tragbarer Geräte werden könnten.
Kernpunkte:
• Leichte künstliche Muskeln namens HASELs unterdrücken effektiv einen Tremor
• Eine Vielzahl aufgezeichneter Tremor-Episoden können auf der Roboterplattform/dem mechanischen Patienten reproduziert werden
• Computersimulation bestätigt, dass die Kräfte der künstlichen Muskeln für praktische Anwendungen ausreichen
• Vermeidung zeitaufwändiger klinischer Tests in frühen Phasen der Technologieentwicklung
• Forschungsarbeit wird am 6. März im Fachjournal Device veröffentlicht
Stuttgart/Tübingen – Schätzungen zufolge leben weltweit etwa 80 Millionen Menschen mit einem Tremor. Zum Beispiel sind davon Parkinson Patienten betroffen. Die unwillkürlichen periodischen Bewegungen beeinträchtigen Betroffene, zum Beispiel ein Glas zu halten oder einen Text zu schreiben. Tragbare weiche Exoskelette könnten eine praktische Lösung sein, um den Tremor zu unterdrücken. Die bestehenden Prototypen sind jedoch nicht ausgereift genug, um echte Abhilfe zu schaffen.
Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS), der Universität Tübingen und der Universität Stuttgart wollen dies im Rahmen der Forschungskooperation Bionic Intelligence Tübingen Stuttgart (BITS) ändern. Das Team hat einen biorobotischen Arm mit zwei Strängen künstlicher Muskeln ausgestattet, die entlang des Unterarms befestigt sind. Wie in diesem Video zu sehen ist, simuliert der biorobotische Arm – im Video als mechanischer Patient bezeichnet – ein Zittern. Mehrere echte Tremor-Bewegungen wurden aufgezeichnet und auf den künstlichen Arm projiziert, der dann nachahmt, wie der Patient sein Handgelenk und seine Hand schüttelt. Sobald jedoch die Tremor-Unterdrückung aktiviert wird, ziehen sich die leichten, elektrohydraulischen Aktoren – die künstlichen Muskeln – zusammen und entspannen sich auf eine Weise, die die Hin- und Herbewegung ausgleicht. Jetzt ist der Tremor kaum noch zu spüren oder zu sehen.
Mit seinem Roboter-Arm möchte das Team zwei Ziele erreichen: Erstens sieht es seinen biorobotischen Arm als Plattform für andere Forschende auf dem Gebiet, um neue Exoskelett-Technologie zu testen. Anhand der biomechanischen Computersimulationen können Entwickler schnell überprüfen, wie gut ihre weichen Aktuatoren funktionieren. So können sie ohne zeitaufwändige und kostspielige klinische Tests an echten Patient*innen neue Technologien früh in der Entwicklung auf ihr Potential hin testen.
Zweitens dient der Arm als Testplattform für die künstlichen Muskeln, welche die Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS entwickelt. In der wissenschaftlichen Community sind die Forschenden für ihre HASELs sehr bekannt. Im Laufe der Jahre wurden diese sogenannten HASELs immer weiter verbessert. Die Vision des Teams ist es, HASELs eines Tages in tragbare Exoskelette einzubauen – Kleidungsstücke, die Tremorpatienten bequem tragen können, um zum Beispiel eine Kaffeetasse besser halten zu können.
„Wir sehen großes Potenzial, unsere künstlichen Muskeln eines Tages in ein Kleidungsstück einzunähen, das man diskret tragen kann und andere so nicht einmal merken, dass die Person an einem Tremor leidet“, sagt Alona Shagan Shomron, Postdoc in der Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS und Erstautorin einer Forschungsarbeit, die am 6. März im Fachjournal Device veröffentlicht wird. „Wir haben gezeigt, dass unsere künstlichen Muskeln, die auf der HASEL-Technologie basieren, schnell und stark genug sind, um viele verschiedene Tremor zu unterdrücken. Dies zeigt das große Potenzial eines tragbaren Hilfsgeräts auf HASEL-Basis für Menschen, die mit dieser Einschränkung leben“, fügt Shagan hinzu.
„Mit der Kombination aus mechanischem Patienten und biomechanischem Modell können wir messen, ob die getesteten künstlichen Muskeln gut genug sind, um alle, auch sehr starke, Tremor-Bewegungen zu unterdrücken. Wenn wir also jemals ein tragbares Gerät entwickeln würden, könnten wir es an jeden Tremor individuell anpassen“, fügt Daniel Häufle hinzu. Er ist Professor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen. Unter anderem haben er und sein Team die Computersimulation erstellt und die Tremor-Daten von Patient*innen gesammelt.
„Der mechanische Patient ermöglicht es uns, das Potenzial neuer Technologien bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium zu testen, ohne dass teure und zeitaufwändige klinische Tests an echten Patienten und Patientinnen notwendig sind“, sagt Syn Schmitt, Professor für Computational Biophysics and Biorobotics an der Universität Stuttgart. „Viele gute Ideen werden oft nicht weiterverfolgt wegen klinischer Tests, die in der frühen Phase der Technologieentwicklung nur schwer finanziert werden können. Unser mechanischer Patient löst dieses Problem. Mit ihm können wir das Potenzial neuer Technologien bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung testen.“
„Die Robotik zeigt großes Potenzial für Anwendungen im Gesundheitswesen. Dieses erfolgreiche Projekt unterstreicht die Schlüsselrolle, die weiche Robotersysteme, die auf flexiblen und verformbaren Materialien basieren, spielen werden“, sagt Christoph Keplinger, Direktor der Abteilung für Robotik-Materialien am MPI-IS.
Publikation:
A. Shagan Shomron, C. Chase-Markopoulou, J. R. Walter, J. Sellhorn-Timm, Y. Shao, T. Nadler, A. Benson, I. Wochner, E. H. Rumley, I. Wurster, P. Klocke, D. Weiss, S. Schmitt, C. Keplinger*, D. Haeufle*, „ A robotic and virtual testing platform highlighting promise of soft wearable actuators for suppression of wrist tremor“, Device, 2025.
https://doi.org/10.1016/j.device.2025.100719
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Alona Shagan Shomron
Abteilung für Robotikmaterialien
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme
shagan@is.mpg.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.device.2025.100719
Weitere Informationen:
Bilder
Von links nach rechts: Alona Shagan Shomron, Syn Schmitt, Christoph Keplinger and Daniel Häufle
W. Scheible
MPI-IS / W. Scheible
Abbildung 1. Neue Tremor-Unterdrückungstechnologien können schnell und einfach getestet werden.
MPI-IS

Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Maschinenbau, Medizin, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
