07.04.2022 13:17
Messexperten der PTB: Abstände von Windenergieanlagen zu Anlagen der Flugsicherung können kleiner sein
Windenergieanlagen stören deutlich weniger als früher angenommen – Bericht an die Bundesminister für Wirtschaft und für Verkehr übergeben
Drehfunkfeuer sind Navigationseinrichtungen, mit deren Hilfe Flugzeuge sicher navigieren. Sie können durch Windenergieanlagen gestört werden. Deshalb muss die Störwirkung jeder geplanten Windenergieanlage von der Flugsicherung geprüft werden, wenn sie in einem gewissen Abstand zu einem Drehfunkfeuer errichtet werden soll. Dieser Abstand betrug bisher 15 km. Nach Abschluss zweier Forschungsprojekte empfehlen Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), diesen Abstand auf 6 km bis 7 km zu reduzieren. Damit würde sich die Wahrscheinlichkeit, dass neue Windenergieanlagen genehmigt werden, deutlich erhöhen. Die PTB übergab am 5. April einen Forschungsbericht mit Erkenntnissen und Empfehlungen aus den Projekten an den Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und an den Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Dr. Robert Habeck.
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat gemeinsam mit ihren Partnern in den Projekten WERAN und WERAN plus neue messtechnische Verfahren und Simulationsmethoden entwickelt, um zu untersuchen, inwieweit Windenergieanlagen (WEA) die Signale von Drehfunkfeuern (VOR) im Luftraum stören können. Rund 60 solcher Navigationsanlagen betreibt die deutsche Flugsicherung am Boden. Man unterscheidet dabei die älteren konventionellen CVOR und die moderneren Doppler-Drehfunkfeuer (DVOR). Vergleichbar mit Leuchttürmen weisen sie Flugzeugen den Weg und sorgen so für Sicherheit im Luftraum. Windenergieanlagen können das von Navigationsanlagen ausgehende UKW-Funksignal streuen und somit einen Winkelfehler erzeugen. Dadurch kommt das Signal der Navigationsanlage leicht verfälscht im Flugzeug an.
Im Zuge der beiden Projekte wurden systematisch die Entstehung und die Ausbreitung des Winkelfehlers untersucht, den WEA und andere Hindernisse im Luftraum erzeugen. Weltweit erstmalig konnte der Beitrag einer WEA zu einem Winkelfehler mithilfe der im Projekt entwickelten drohnenbasierten Messtechnik der PTB nachgewiesen werden. Die parallel zur Messtechnik an der Leibniz Universität Hannover entwickelten Verfahren der numerischen Simulation und nachgeschalteten mathematischen Verfahren (Vollwellensimulation) zur Bestimmung des Winkelfehlers zeigen eine qualitativ und quantitativ gute Übereinstimmung mit den Messergebnissen. Diese aufwendigen Auswerteverfahren laufen auf Großrechnern und sind zeitintensiv. Um die Anwendung der Ergebnisse auch auf herkömmlichen Bürorechnern zu ermöglichen, wurden abgeleitete Prognoseverfahren auf der Basis physikalischer Modelle der Wellenausbreitung von elektromagnetischen Feldern entwickelt, die in wenigen Minuten ähnliche Ergebnisse liefern. Innerhalb der erforderlichen Genauigkeit für die Anwendung im Anlagenschutz der VOR konnten diese Ergebnisse durch Vergleich mit Vor-Ort-Messungen und mit der Vollwellensimulation validiert werden.
Darüber hinaus wurde mit der Doppler-Kreuzpeilung ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich die Vorbelastung des Winkelfehlers rund um ein VOR messtechnisch charakterisieren lässt. Nahestehende Vegetation, hohe Gebäude, Hochspannungsmasten, Baukräne und Höhenzüge erzeugen ebenfalls Winkelfehler. Diese Störquellen werden nun zusammen mit der Größe ihrer Störwirkung örtlich erfasst und können in einer Karte hinterlegt werden. Die dazu notwendige Messtechnik ist im Forschungsflugzeug Jade One der Jade Hochschule in Wilhelmshaven implementiert. Die Jade One lässt sich als Motorsegler in luftfahrtüblichen Höhen und Abständen kostengünstig und umweltschonend einsetzen. Damit kann die Fehlerausbreitung im Raum bis an die Reichweitengrenze von ca. 150 km bei DVOR untersucht werden. Insbesondere lässt sich die Störwirkung von WEA nun in die Wirkung anderer Hindernisse einordnen. Außerdem wird die Sicherheit im Flugbetrieb erhöht, weil nun alle Störobjekte und nicht nur singulär die WEA erfasst und bewertet werden.
Die neuen, verbesserten Verfahren und die damit gewonnenen Erkenntnisse und Daten dienen nun dazu, das gesamte Bewertungsverfahren von Bauanträgen neuer WEA auf den Stand der Technik zu bringen. Gemäß § 18 a Abs. (1) Luftverkehrsgesetz (LuftVG) dürfen Bauwerke nicht errichtet werden, wenn dadurch Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können. Dazu untersucht die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH bisher in ihrer gutachterlichen Stellungnahme im Anlagenschutzbereich mit einem Radius von 15 km rund um ein Drehfunkfeuer die mögliche Störwirkung der neuen Bauwerke. Anhand der vorliegenden Daten aus verschiedenen Windparks lassen sich Schlussfolgerungen für einen reduzierten Prüfradius des Anlagenschutzbereichs ziehen. Damit wird die zu prüfende Fläche von vorher 707 km² auf 154 km² reduziert, was einem Radius von 6 km bis 7 km entspricht. Dies schafft Planungssicherheit und ermöglicht viel Raum für Windenergie, ohne die Sicherheit in der Luftfahrt einzuschränken.
„Dieser Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Sicherheit in der Luftfahrt und der erneuerbaren Energie war uns im Projekt immer wichtig“, betont der Projektleiter Dr. Thorsten Schrader. „Insgesamt haben wir jetzt verlässlichere messtechnische und simulatorische Möglichkeiten sowie eine ganz andere Datenbasis, die eine neue Bewertung der Wechselwirkung von WEA und Drehfunkfeuern zulassen“, freut sich Schrader. Ohne die hervorragende Zusammenarbeit in den Projektteams wäre dieses Ergebnis so nicht möglich gewesen, ist sich Schrader sicher.
PTB-Präsident Prof. Dr. Joachim Ullrich hebt die Bedeutung der Metrologie hervor: „Der Beitrag von WERAN demonstriert eindrucksvoll die Bedeutung langfristiger messtechnischer Vorlaufforschung.“ Nur so sei man in der Lage, sehr schnell auf aktuelle Gegebenheiten reagieren zu können – und dies auf der Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck zeigte sich erfreut über die neuen Möglichkeiten zum Ausbau der Windenergie. Mit dem gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium beschlossenen Maßnahmenpaket könnten zusätzliche Potenziale im Umfang von rund 5 Gigawatt zusätzlicher Windenergieleistung erschlossen werden, sagte er. „Das entspricht bei 4–5 Megawatt pro Neuanlage mehr als 1000 neuen Windenergieanlagen. Das ist ein wichtiger Push für den Ausbau der Windenergie an Land“, so Habeck.
(es/ptb)
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Thorsten Schrader, Leiter der PTB-Abteilung 1 Mechanik und Akustik, Telefon: (0531) 592-1010, thorsten.schrader@ptb.de
PD Dr. Thomas Kleine-Ostmann, Leiter des PTB-Fachbereichs 2.2 Hochfrequenz und Felder,
Telefon: (0531) 592-2200, thomas.kleine-ostmann@ptb.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.7795/120.20220401
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Energie, Physik / Astronomie, Verkehr / Transport
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch