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03.01.2025 11:13
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue Ansätze gegen metastasierenden Brustkrebs: Minitumoren aus zirkulierenden Tumorzellen
Im Blut zirkulierende Tumorzellen sind die „Keimzellen“ von Brustkrebs-Metastasen. Sie sind sehr selten und ließen sich bislang nicht in der Kulturschale vermehren, was die Erforschung von Therapie-Resistenzen erschwerte. Forschenden vom DKFZ und vom Heidelberger Stammzellinstitut HI-STEM* ist es nun erstmals gelungen, direkt aus Blutproben von Brustkrebspatientinnen stabile Tumor-Organoide zu kultivieren. An diesen Mini-Tumoren konnten das Team einen molekularen Signalweg entschlüsseln, der den Krebszellen Überleben und Therapieresistenz sichert. Mit diesem Wissen gelang es den Forschenden, einen Ansatz zu entwickeln, um die Tumorzellen im Laborexperiment dennoch gezielt auszuschalten.
Metastasen sind die gefährlichen Ableger von Tumoren, die sich in lebenswichtige Organe wie Leber, Lunge oder Gehirn ausbreiten und meist schwer behandelbar sind. Auch wenn sich bei Brustkrebs die Prognose für die Patientinnen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, stellt metastasierter Brustkrebs immer noch eine große Herausforderung dar, da die Metastasen auf Therapien oft nur vorübergehend ansprechen.
Als Auslöser vom Brustkrebs-Metastasen gelten Krebszellen, die sich vom primären Tumor ablösen und über die Blutbahn in andere Organe einwandern. Diese zirkulierenden Krebszellen (CTCs) sind extrem selten und verstecken sich zwischen den Milliarden von Blutzellen, die in den Blutgefäßen zirkulieren. Andreas Trumpp, Abteilungsleiter am DKFZ und HI-STEM-Direktor, hatte bereits vor einigen Jahren nachgewiesen, dass unter den zirkulierenden Tumorzellen nur einige wenige in der Lage sind, eine neue Tochtergeschwulst in einem anderen Organ zu bilden. Diese meist therapieresistenten „Keimzellen“ der Metastasen sind sehr selten, schwer zu isolieren und waren bisher im Labor nicht zu vermehren. „Das macht es schwierig, gezielt neue Therapien zu entwickeln, die die Metastasen-auslösenden Zellen direkt angreifen. Wenn wir jedoch verstehen, wie diese Zellen die anfängliche Therapie überleben und was ihr Wachstum antreibt, könnten wir die Bildung von Brustkrebs-Metastasen an der Wurzel bekämpfen und sie eines Tages vielleicht sogar ganz verhindern”, erklärt der Erstautor der Arbeit, Roberto Würth aus Trumpps Forschungsabteilung.
Dem Team um Andreas Trumpp ist es weltweit erstmals gelungen, CTCs aus Blutproben von Brustkrebs-Patientinnen zu vermehren und als stabile Tumor-Organoide in der Kulturschale zu züchten. Bislang war dazu immer ein Umweg erforderlich, nämlich die aufwändige und langwierige Vermehrung der CTCs in immundefizienten Mäusen. Um zu verstehen, wie Tumorzellen resistent gegen Therapien werden, benötigen Forscher Tumormaterial von verschiedenen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf. Im Gegensatz zu einer chirurgischen Entnahme von Gewebeproben (Biopsie) sind Blutabnahmen einfach und können wiederholt durchgeführt werden.
Die dreidimensionalen und patientenspezifischen Minitumoren lassen sich mehrfach während der Erkrankung aus Blutproben züchten und sind hervorragend geeignet, um die molekularen Mechanismen zu untersuchen, die das Überleben von Tumoren trotz Therapie ermöglichen. Auch präklinische Tests zur Wirksamkeit bereits verfügbarer Krebsmedikamente können schnell und in großem Maßstab an Organoiden in der Kulturschale durchgeführt werden.
Die klinische Registerstudie CATCH (ClinicalTrials.gov ID: NCT05652569) im NCT Heidelberg** analysiert die genetische Vielfalt der Tumorzellen von Brustkrebspatientinnen. Dank der erfolgreichen Anzucht der Organoide konnte das interdisziplinäre Forscherteam um Trumpp in enger Zusammenarbeit mit der CATCH-Studie einen Schlüssel-Signalweg identifizieren, der das Wachstum und Überleben der Brustkrebs-CTCs im Blut sichert. Dabei wirkt das Protein NRG1 (Neuregulin 1) wie ein lebenswichtiger ‚Treibstoff‘. Es dockt an den Rezeptor HER3 auf den Krebszellen an und aktiviert zusammen mit dem HER2-Rezeptor Signalwege, die Wachstum und Überleben der Zellen sichern. Spannend ist auch: Selbst wenn dieser Treibstoff ausgeht oder die Rezeptoren medikamentös blockiert werden, finden die Zellen neue Tricks. Ein alternativer Signalweg, gesteuert durch den Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor 1 (FGFR1), springt ein und sichert Wachstum und Überleben.
„Mithilfe solcher ‚Umgehungsstraßen‘ reagieren Tumoren auf äußere Einflüsse, beispielsweise auf zielgerichtete Therapien gegen HER2. Das ist ein entscheidender Mechanismus bei der Entstehung von Therapieresistenzen“, erklärt Roberto Würth. Aber es gibt Auswege: Die Forscher zeigten an den Organoiden, dass eine kombinierte Blockade beider Signalwege (NRG1-HER2/3 und FGFR) die Vermehrung der Tumorzellen effektiv aufhalten und den Zelltod einleiten kann.
Andreas Trumpp fasst zusammen: „Die Möglichkeit, CTCs aus dem Blut von Brustkrebspatientinnen zu verschiedenen Zeitpunkten als Tumor-Organoide im Labor zu kultivieren, ist ein entscheidender Durchbruch. Damit lässt sich viel besser untersuchen, wie Tumorzellen resistent gegen Therapien werden. Auf dieser Basis können wir neue Behandlungen entwickeln, die möglicherweise auch resistente Tumorzellen gezielt abtöten. Ein weiterer denkbarer Ansatz ist, bestehende Therapien so anzupassen, dass die Entstehung von Resistenzen und Metastasen von Anfang an verringert oder sogar verhindert wird. Da die Organoide spezifisch für jede Patientin sind, ist die Methode geeignet, individuell angepasste Therapien zu identifizieren oder zu entwickeln, die optimal auf die individuelle Erkrankung abgestimmt sind.” Vor einem Einsatz der Methode in Versorgung von Brustkrebspatientinnen muss sie zunächst in klinischen Studien erprobt werden.
*Das Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership von DKFZ und Dietmar Hopp Stiftung gegründet
** Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine langfristig angelegte Kooperation zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum dem Universitätsklinikum und der Universität Heidelberg.
Roberto Würth, Elisa Donato, Laura L. Michel, Massimo Saini, Lisa Becker, Tasneem Cheytan, Daria Doncevic, Tobias Messmer, Ewgenija Gutjahr, Rebecca Weber, Corinna Klein, Hamed Alborzinia, Umut Yildiz, Vanessa Vogel, Mario Hlevnjak, Polina Kozyulina, Sarah-Jane Neuberth, Paul Schwerd-Kleine, Sevinç Jakab, Nicole Pfarr, Arlou Kristina Angeles, Astrid K. Laut, Darja Karpova, Mattia Falcone, Olaf Hardt, Benjamin Theek, Celina V. Wagner, Mirjam Becker, Sabine Wagner, Martina Haselmayr, Anita Schmitt, Carsten Müller-Tidow, Sabine Riethdorf, Klaus Pantel, Marc Zapatka, Holger Sültmann, Carl Herrmann, Verena Thewes, Peter Lichter, Andreas Schneeweiss, Martin R. Sprick, & Andreas Trumpp: Circulating tumor cell plasticity determines breast cancer therapy resistance via neuregulin 1–HER3 signaling
Nature Cancer 2025, https://doi.org/10.1038/s43018-024-00882-2
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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