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18.12.2024 12:21
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue Erkenntnisse zur Fibromyalgie beim Mann
Kleinfaserpathologie liegt auch bei Männern mit Fibromyalgie-Syndrom vor / Schweregrad der Schmerzen korreliert mit Nervenfaserverlust in der Hornhaut
Die Würzburger Neurologin Prof. Dr. Nurcan Üçeyler liefert mit ihrem Team in einer prospektiven Fall-Kontroll-Studie, die in der Fachzeitschrift Pain Reports veröffentlichte wurde, detaillierte Daten zur Schmerzphänotypisierung und zur Pathologie der kleinkalibrigen Nervenfasern in einer Kohorte von Männern mit Fibromyalgie-Syndrom. Ihr Team zeigt zum ersten Mal, dass auch bei Subgruppen von Männern mit FMS eine Kleinfaserpathologie vorliegt, die mit dem Schweregrad der Schmerzen und dem Nervenfaserverlust in der Hornhaut korreliert.
Würzburg. Weltweit sind etwa zwei bis vier Prozent der Bevölkerung vom Fibromyalgie-Syndrom (FMS) betroffen. Da die Symptome unspezifisch sind und die Diagnose schwierig ist, wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Die Betroffenen leiden unter Schmerzen, chronischer Müdigkeit und Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und vegetativen Beschwerden. Psychische Belastungen wie Depressionen und Angststörungen sind häufige Begleiter. Das FMS ist nicht heilbar, aber individuell angepasste Therapien wie Bewegung, Schmerzmanagement und psychologische Unterstützung können die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in Häufigkeit, Symptomschwere und Diagnostik
Prof. Dr. Nurcan Üçeyler, leitende Oberärztin in der Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), und ihr Team gewannen jetzt wichtige Erkenntnisse auf der Suche nach objektiven und messbaren Biomarkern für die Diagnose und Therapie bei Männern mit FMS. Das Fibromyalgie-Syndrom unterscheidet sich deutlich zwischen den Geschlechtern, was die Häufigkeit, die Schwere der Symptome und den Weg zur Diagnose betrifft. So ist die Mehrzahl der Betroffenen Frauen, allerdings wird auch von einer hohen Fallzahl unter Männern ausgegangen, die in wissenschaftlichen Studien zur Fibromyalgie allerdings meist unterrepräsentiert sind. Die Unterschiede verdeutlichen, wie wichtig es ist, geschlechtsspezifische Ansätze in der Behandlung und Diagnostik zu berücksichtigen, um die Versorgung der Betroffenen zu verbessern.
Beim Fibromyalgie-Syndrom sind kleine schmerzleitende Nervenfasern – small fibers – geschädigt
Die Arbeitsgruppe Üçeyler wies bereits vor elf Jahren nach, dass bei Frauen mit FMS die kleinkalibrigen schmerzleitenden Nervenfasern, die so genannten small fibers, geschädigt sind (Stuide in BRAIN und Pressemeldung). Nun erweiterte die AG mit ihrer rein männlichen Kohorte das Verständnis der Pathophysiologie des Schmerzes bei FMS, indem sie bei Männern den Schmerz charakterisierten und die Nervenfasern auf morphologischer und funktioneller Ebene bewerteten. Die Ergebnisse der Studie „Pain and small fiber pathology in men with fibromyalgia syndrome” wurden in der Fachzeitschrift Pain Reports veröffentlicht.
In dem von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) teilgeförderten Projekt wurden 42 Männer mit FMS in einem umfassenden Untersuchungsprogramm unterzogen, das ein schmerzbezogenes Interview, eine Fragebogenerhebung, eine neurologische Untersuchung, elektrophysiologische Tests sowie spezielle Untersuchungen der kleinkalibrigen Nervenfasern, konkret der dünn-myelinisierten Aδ- und der unmyelinisierten C-Nervenfasern, umfasste. Die Untersuchung der small fibers, die für die Schmerzwahrnehmung und das Temperaturempfinden verantwortlich sind und deren Endigungen in der Haut lokalisiert sind, beinhaltete die Entnahme von Hautstanzbiopsien, die korneale konfokale Mikroskopie, bei der die Morphologie der kleinen Nervenfasern in der Hornhaut analysiert wurde, sowie die quantitative sensorische Testung, bei der die Reaktionsfähigkeit des Patienten auf Reize untersucht wurde.
Je stärker die Nerven in der Haut betroffen sind, desto umfassender scheinen die Schmerzsymptome zu sein
„Wir fanden heraus, dass Männer mit FMS vor allem über generalisierte und dauerhafte Schmerzen mit zusätzlichen Schmerzattacken und meist drückendem Schmerzcharakter berichten“, berichtet Nurcan Üçeyler.
Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen war bei Männern mit FMS die Nervenversorgung sowohl in der Haut als auch in der Hornhaut des Auges reduziert, was auf eine neurologische Beteiligung bei FMS hinweist. Auch die Funktion der kleinen Nervenfasern war im Vergleich zu gesunden Männern beeinträchtigt. Männer mit FMS benötigten stärkere Reize, um Wärme oder Kälte wahrzunehmen, und einen stärkeren Druck, um Schmerzen auszulösen.
„Interessanterweise ergab eine Korrelationsanalyse, dass Patienten mit FMS und reduzierter Hautinnervation über Schmerzen in mehr Körperregionen berichteten als Personen mit normaler Hautnervenversorgung“, erzählt die Erstautorin Betty Feulner, die die Studie im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit in der Arbeitsgruppe durchgeführt hat und jetzt auch als Assistenzärztin an der Neurologischen Klinik tätig ist. Dies sei ein wichtiger Befund, der auf einen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der kutanen Denervierung, also der Reduzierung der Hautnerven, und der Symptomlast hindeute. Mit anderen Worten: Je stärker die Nerven in der Haut betroffen sind, desto ausgeprägter scheinen die Schmerzsymptome zu sein.
Weitere Untersuchungen sollen Weg in die klinische Praxis ebnen
Damit zeigt das Team aus der Neurologie in Zusammenarbeit mit Privatdozent Daniel Kampik von der Würzburger Augenklinik und Prof. Rayaz A. Malik von Weill Cornell Medicine in Doha (Katar) erstmals, dass auch bei Untergruppen von Männern mit FMS eine Kleinfaserpathologie vorliegt, die mit der Schmerzintensität und dem Nervenfaserverlust in der Hornhaut korreliert. „Auch wenn wir unsere Ergebnisse noch nicht direkt in die Klinik übertragen können, so liefern wir doch wichtige Erkenntnisse auf der Suche nach objektiven und messbaren Biomarkern für die Diagnostik und Therapie von FMS“, fasst Nurcan Üçeyler zusammen. Entscheidend wird nun sein, den diagnostischen und therapeutischen Wert der Ergebnisse weiter zu untersuchen, um den Weg in die klinische Praxis zu ebnen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Nurcan Üçeyler, Ueceyler_N@ukw.de
Originalpublikation:
Feulner, Betty; Gross, Franziska; Evdokimov, Dimitar; Malik, Rayaz A.; Kampik, Daniel; Üçeyler, Nurcan,*. Pain and small fiber pathology in men with fibromyalgia syndrome. PAIN Reports 9(6):p e1212, December 2024. | DOI: 10.1097/PR9.0000000000001212
Bilder
Betty Feulner (rechts) hat im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit mit Prof. Dr. Nurcan Üçeyler Daten zu …
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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