Neuer Erklärungsansatz für Geschlechtsunterschiede bei altersbedingten Krankheiten: Stilles X-Chromosom erwacht im Alter



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27.05.2025 10:46

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Neuer Erklärungsansatz für Geschlechtsunterschiede bei altersbedingten Krankheiten: Stilles X-Chromosom erwacht im Alter

Frauen erkranken im Alter anders als Männer – zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz und Parkinson. Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat einen neuen Erklärungsansatz dafür gefunden. Mit zunehmendem Alter werden bei weiblichen Mäusen Gene auf dem ursprünglich stillgelegten zweiten X-Chromosom aktiv. Dieser Mechanismus könnte auch die Gesundheit von Frauen im Alter beeinflussen.

Anders als Männer, die ein X- und ein Y-Chromosom besitzen, tragen Frauen zwei X-Chromosomen in ihren Zellen. Allerdings ist in jeder Zelle eines der beiden X-Chromosomen gewissermaßen stillgelegt. Es schnürt sich zu einer kompakten Struktur, dem Barr-Körperchen, zusammen und kann nicht mehr abgelesen werden. Ohne diesen Mechanismus würden die Gene des X-Chromosoms bei Frauen im Vergleich zu Männern doppelt abgelesen.

Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass einige Gene der Stilllegung des Barr-Körperchen entkommen können, was zu einer höheren Genaktivität bei Frauen führt. Diese stehen im Verdacht, Krankheiten zu beeinflussen. „Wir haben jetzt erstmals nachgewiesen, dass mit zunehmendem Alter immer mehr Gene der Inaktivierung des Barr-Körperchens entkommen“, sagt Dr. Daniel Andergassen, Gruppenleiter am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der TUM. Die Studie ist im Fachmagazin “Nature Aging” erschienen.

Im Alter lockert sich das inaktive X-Chromosom

Für die Studie hat das Team die wichtigsten Organe von Mäusen in verschiedenen Lebensabschnitten untersucht. Bei den alten Tieren lag der Anteil der entkommenen Gene im Durchschnitt doppelt so hoch wie bei erwachsenen Tieren – bei sechs statt drei Prozent der Gene auf dem X-Chromosom. In einigen Organen lag der Wert sogar noch höher, in den Nieren etwa bei knapp neun Prozent. „Durch epigenetische Prozesse öffnet sich im Alter nach und nach die kompakte Struktur des inaktiven X-Chromosoms. Das geschieht hauptsächlich an dessen Enden. Dadurch können Gene, die dort liegen und zuvor abgeschaltet waren, wieder abgelesen werden“, erläutert Erstautorin Sarah Hoelzl.

Insbesondere Gene mit Krankheitsbezug werden reaktiviert

Viele der Gene, die im Alter wieder aktiv werden, sind mit Krankheiten assoziiert. „Unsere Daten stammen zwar von Mäusen, aber da das X-Chromosom beim Menschen sehr ähnlich ist, gehe ich davon aus, dass bei alternden Frauen das Gleiche passieren könnte“, sagt Studienleiter Daniel Andergassen. Ob dies der Fall ist und welche Auswirkungen die reaktivierten Gene auf Krankheitsentwicklungen genau haben, müssen zukünftige Studien zeigen. Die verglichen mit Männern doppelte Genaktivität bei Frauen kann aus Sicht der Forschenden in manchen Fällen positive Auswirkungen haben, in anderen negative. ACE2, eines der Gene, das im Alter in der Lunge entkommt, kann unter anderem Lungenfibrosen eingrenzen. Eine vermehrte Aktivität des Gens TLR8 im Alter könnte dagegen bei Autoimmunerkrankungen wie dem spät einsetzenden Lupus eine Rolle spielen.

Alternative Erklärung für Geschlechtsunterschiede bei Krankheiten

„Geschlechtsunterschiede in Bezug auf Krankheiten im Alter sind ein hochkomplexes Thema. Bei der Suche nach Erklärungen hat sich die Wissenschaft bislang auf Unterschiede im Hormonhaushalt oder beim Lebensstil konzentriert“, sagt Daniel Andergassen. „Zwar wurden auch die Rolle des X-Chromosoms und einzelner entkommener Gene bereits untersucht, doch die Entdeckung, dass viele Gene auf dem inaktiven X-Chromosom im Alter wieder aktiv werden, eröffnet völlig neue Perspektiven. Diese Erkenntnis könnte als Alternative zu hormonellen Erklärungen dazu beitragen, altersbedingte Unterschiede bei Krankheiten zwischen den Geschlechtern besser zu verstehen – vielleicht sogar zu der ganz grundlegenden Frage, warum Frauen statistisch gesehen länger leben.“

Publikation:

Hoelzl, S., Hasenbein, T.P., Engelhardt, S., Andergassen, D. Aging promotes reactivation of the Barr body at distal chromosome regions. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-00856-8

Weitere Informationen:

• Diese Meldung auf tum.de: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/stilles-x…

Wissenschaftlicher Kontakt:

Dr. Daniel Andergassen
Technische Universität München
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Tel. +49 89 4140-3298
daniel.andergassen@tum.de
https://www.professoren.tum.de/en/tum-junior-fellows/andergassen-daniel
https://www.andergassenlab.com/

Kontakt im TUM Corporate Communications Center:

Paul Hellmich
Pressereferent
Tel. +49 89 289 22731
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Dr. Daniel Andergassen
Technische Universität München
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Tel. +49 89 4140-3298
daniel.andergassen@tum.de
https://www.professoren.tum.de/en/tum-junior-fellows/andergassen-daniel
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Originalpublikation:

Hoelzl, S., Hasenbein, T.P., Engelhardt, S., Andergassen, D. Aging promotes reactivation of the Barr body at distal chromosome regions. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-00856-8


Bilder

Bei weiblichen Säugetieren ist in der Regel eines der zwei X-Chromosomen inaktiv und zu einem sogenannten Barr-Körperchen zusammengeschnürt. Das Bild zeigt einen Zellkern, in dem das Barr-Körperchen grün markiert ist.

Bei weiblichen Säugetieren ist in der Regel eines der zwei X-Chromosomen inaktiv und zu einem sogena
Daniel Andergassen
Daniel Andergassen / TUM


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW