Doppelkelche als Blockadebrecher



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22.12.2021 16:31

Doppelkelche als Blockadebrecher

Synthese mit Schablone: Zweifach-Calixarene binden neuromuskuläre Blocker

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Während einer Narkose werden häufig muskelentspannende neuromuskuläre Blocker verabreicht, um Intubationen zu erleichtern und den Tonus der Skelettmuskulatur bei der OP herabzusetzen. Eine medikamentöse Aufhebung der postoperativen Restblockade verbessert die Erholung der Patient:innen und senkt das Risiko von Komplikationen. In der Zeitschrift Angewandte Chemie berichtet ein kanadisches Forschungsteam über ein neuartiges Breitband-Gegenmittel. Es besteht aus zwei miteinander verbundenen molekularen „Kelchen“, die sich über die beiden Enden der Blocker „stülpen“.

Neuromuskuläre Blocker sind Wirkstoffe, die die Reizweiterleitung an den Synapsen zwischen Nerv und Muskel hemmen, indem sie die Acetylcholin-Bindestellen von Nikotinsäure-Acetylcholin-Rezeptoren blockieren. Verschiedene Blockertypen erfüllen dabei unterschiedliche pharmakologische Anforderungen. Die verwendeten Gegenmittel sind „Wirkstoffe, die andere Wirkstoffe binden“. Sie fangen freie Blocker im Blut ein und heben so die Blockade auf.

Als „Deblockiermittel“ dienen bisher meist Donut-förmige Moleküle, die sich über die stabförmigen Blocker „fädeln“. Dazu muss das Loch der „Donuts“ zur Dicke der „Stäbe“ passen – die aber nicht für alle Blockertypen gleich ist. Verschiedene Blocker erfordern verschiedene Donuts. Allen Blockern gemein ist jedoch ihr stäbchenförmiger Aufbau mit zwei positiv geladenen Enden (Aminogruppen) sowie die Länge der Stäbchen, denn sie müssen den inneren Durchmesser des Rezeptors überbrücken und mit ihren geladenen Enden gleichzeitig beide gegenüberliegenden Acetylcholin-Bindetaschen blockieren.

Das Team von der University of Victoria (Kanada) wählte jetzt einen neuartigen Ansatz für ein Deblockiermittel, das ein breites Spektrum von Blockern bindet. Statt aufgefädelt zu werden, schirmt es beide Stäbchenenden ab.

Fraser Hof und sein Team synthetisierten kelchförmige Makromoleküle, sogenannte Calix[4]- bzw. Calix[5]arenen (Calix: lat., Kelch). An den oberen Rand der „Kelche“ knüpften sie negativ geladene Gruppen. Solche molekularen Kelche nehmen positiv geladene Molekülteile auf, wie die Stabenden der Blocker – allerdings unspezifisch. Um eine Selektivität für die Blocker zu erreichen, wollte das Team zwei Kelche über ein Verbindungsstück miteinander verknüpfen, dessen Länge exakt zur „Stablänge“ passt – und die beiden Kelche damit genau auf die beiden Stabenden.

Da das Verbindungsstück sehr kurz sein musste, störte die Abstoßung zwischen den negativ geladenen Kelchrändern. Die Lösung war, ein Blocker-Stäbchen als „Schablone“ zu verwenden. Das Team stattete die Kelche mit reaktiven Gruppen aus, ließ sie an einen typischen Blocker binden und verknüpfte die zwei am selben Blocker-Stäbchen gebundenen Kelche über ein passendes Verbindungsstück (Hydrazin).

Die „Doppelkelche“ – Super-sCx4 und Super-sCx5 – binden ein breites Spektrum neuromuskulärer Blocker mit hoher Selektivität, nicht aber Acetylcholin und andere physiologisch relevante Amine.

Angewandte Chemie: Presseinfo 39/2021

Autor/-in: Fraser Hof, University of Victoria (Canada), https://hoflab.com/

Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69451 Weinheim, Germany.

Die “Angewandte Chemie” ist eine Publikation der GDCh.


Originalpublikation:

https://doi.org/10.1002/ange.202113235


Weitere Informationen:

http://presse.angewandte.de/


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW