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24.01.2025 11:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Krebszell-Cluster auflösen, um Metastasen zu verhindern
Erfolgreicher Test bei Brustkrebs-Patientinnen: Der Wirkstoff Digoxin, bekannt aus der Herzmedizin, löst Klümpchen von zirkulierenden Brustkrebszellen im Blut auf und reduziert so die Gefahr von Metastasenbildung.
Gewisse Tumortypen bleiben nicht an ihrem Ursprungsort, sondern verbreiten sich im ganzen Körper und bilden Ableger. Denn der Primärtumor gibt laufend Krebszellen ins Blut ab. Diese im Blut zirkulierenden Tumorzellen (englisch: circulating tumor cells, CTC) können sich zu kleinen Klumpen von bis zu einem Dutzend Zellen zusammenschliessen und sich in anderen Organen einnisten. Dort wachsen die Cluster zu grösseren Tumoren, sogenannten Metastasen. Metastasierende Tumore sind noch immer ein grosses medizinisches Problem: Jedes Jahr sterben daran weltweit rund sieben Millionen Menschen.
Ein solcher streuender Tumor ist beispielsweise der Brustkrebs. Sobald der Primärtumor Ableger bildet, sinken die Überlebenschancen drastisch. Noch immer sterben weltweit zehntausende von Frauen an metastasierendem Brustkrebs. Onkolog:innen suchen deshalb nach Wegen, die Cluster zu schwächen oder zu vernichten, um die Bildung von Ablegern zu verhindern.
Metastasenrisiko stark reduziert
In einer neuen Studie, die soeben in der Fachzeitschrift Nature Medicine erschienen ist, zeigt ein Team von ForscherInnen der ETH Zürich, der Universitätsspitäler von Basel und Zürich sowie des Kantonsspitals Baselland einen neuen, vielversprechenden Ansatz.
In einer klinischen Studie verabreichten die Forschenden neun Patientinnen mit metastasierendem Brustkrebs eine Woche lang das Medikament Digoxin in niedriger und sicherer Dosierung.
Das Ergebnis: Die Zahl der Zellen pro Cluster nahm signifikant ab – im Durchschnitt um 2,2 Zellen. Angesichts der typischen Clustergrössen von nur einer Handvoll Zellen bedeutet dies eine deutliche Reduktion des Metastasenrisikos. Denn je kleiner die Cluster sind, desto weniger sind sie in der Lage, erfolgreich Metastasen hervorzubringen. «Die Bildung von Ablegern bei Brustkrebs hängt von CTC-Clustern ab», betont Studienleiter Nicola Aceto, Professor für Molekulare Onkologie an der ETH Zürich. «Je grösser sie sind, desto erfolgreicher sind sie.»
Die Achillesferse der CTC-Cluster sind die Natrium-Kalium-Pumpen (Na+/K+-ATPasen genannt), die in den Membranen der Tumorzellen sitzen und dafür verantwortlich sind, dass Natrium aus den Zellen und Kalium in die Zellen befördert wird. Digoxin blockiert diese Ionen-Pumpen und unterdrückt somit den Ionenaustausch. Die Zellen nehmen deshalb verstärkt Kalzium von der Aussenseite der Zellmembran in sich auf. Dies schwächt den Zusammenhalt der Krebszellen im Cluster, sodass diese auseinanderfallen.
Digoxin allein beseitigt den bestehenden Tumor jedoch nicht. Das Mittel müsste in Kombination mit anderen Substanzen, die bestehende Krebszellen töten, abgegeben werden.
Forschende wollen Wirkstoff verbessern
Der Wirkstoff Digoxin stammt ursprünglich aus dem Fingerhut (Digitalis sp.) und wird in der Regel bei Herzleiden wie Herzinsuffizienz verwendet. Dass Digoxin auch im Zusammenhang mit Brustkrebs wirksam sein könnte, entdeckten die ETH-Forschenden im Jahr 2019. Sie führten ein umfangreiches Screening durch, bei dem sie mehr als 2400 verschiedenen Substanzen systematisch in Zellkulturen testeten, um aktive Wirkstoffe gegen Cluster von zirkulierenden Tumorzellen (CTC) zu finden.
In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden auf Basis von Digoxin neue Moleküle entwickeln, die die CTC-Cluster noch besser auflösen. Der ETH-Spin-off Page Therapeutics arbeitet bereits daran.
Darüber hinaus will Aceto seine Forschung ausweiten auf weitere streuende Krebstypen wie Prostata, Darm- oder Pankreaskrebs sowie das Melanom. In seinem Labor sind erste Versuche dazu bereits angelaufen.
Die vorliegende Studie ist ein Vorzeigeprojekt für eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen der ETH Zürich und verschiedenen Spitälern, darunter die Universitätsspitäler Basel und Zürich sowie das Kantonsspital Baselland. Die Partner in den Spitälern haben die Patientinnen rekrutiert und die klinischen Versuche durchgeführt.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Nicola Aceto, ETH Zürich, Professur für Molekulare Onkologie, nicola.aceto@biol.ethz.ch
Originalpublikation:
Kurzeder C, Nguyen-Sträuli BD, Krol I, Ring A, et al. Digoxin for reduction of circulating tumor cell cluster size in metastatic breast cancer: a proof-of-concept study. Nature Medicine, 2025. DOI: 10.1038/s41591-024-03486-6
Weitere Informationen:
https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/01/mm-krebszellcl…
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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