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19.12.2024 17:45
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Leuchtende Zellkerne geben Schlüsselgene preis
Die Identifizierung von Genen, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind, ist eine der großen Herausforderungen der biomedizinischen Forschung. Forscher der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn (UKB) haben ein Verfahren entwickelt, mit dem die Identifizierung deutlich einfacher und schneller gelingt: Sie bringen Genomsequenzen im Zellkern zum Leuchten. Im Gegensatz zu langwierigen und aufwändigen Screenings mittels etablierter Methoden können mit der NIS-Seq-Methode nahezu beliebige biologische Prozesse in menschlichen Zellen genetisch untersucht werden. Die Studie ist nun in Nature Biotechnology veröffentlicht.
Der Mensch besitzt rund 20.000 Gene. Sie bestimmen, wie unser Körper funktioniert, wie wir uns entwickeln und wie sich Zellen reproduzieren. „Bestimmte Gene sind beispielsweise für lebenswichtige Immunreaktionen verantwortlich, aber auch an lebensbedrohenden Entzündungsprozessen beteiligt“, sagt Prof. Dr. Jonathan Schmid-Burgk, Arbeitsgruppenleiter am Institut für klinische Chemie und klinische Pharmakologie des UKB und Mitglied im Exzellenzcluster Immunosensation2 der Universität Bonn. „Unser Forschungsinteresse besteht darin, diese Gene zu identifizieren, um Krankheiten besser behandeln zu können.“
Herkömmliche Methode: hoher Aufwand und eingeschränktes Spektrum
Das übliche Verfahren dafür ist das CRISPR-Screening, bei dem Zellen auf die Funktion aller Gene untersucht werden. „Mit CRISPR wird in jeder Zelle ein zufälliges Gen ausgeschaltet“, erklärt Schmid-Burgk. „Anschließend reichern wir die Zellen an, in denen ein bestimmter biologischer Prozess verändert abläuft.“ Dieses Vorgehen ist extrem aufwändig: Man benötigt für jeden Prozess eine eigene Methode, um die relevanten Zellen etwa mit Zell-Sortiermaschinen anzureichern. Ein weiterer Schwachpunkt: Das CRISPR-Screening funktioniert nicht in jedem Zelltyp – gerade die interessanten menschlichen Immunzellen überleben das mehrstufige Verfahren oft nicht.
Neue Methode: einfache Detektion leuchtender Zellkerne mit Mikroskop
Die Bonner Forschenden haben nun ein optisches CRISPR-Screening entwickelt, mit dem wichtige Gene deutlich einfacher und schneller identifiziert werden können: das Nuclear In-Situ Sequencing, kurz NIS-Seq. „Auch hier kommt CRISPR-Cas zum Einsatz“, erklärt Caroline Fandrey, Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Prof. Schmid-Burgk und Erstautorin der Studie. „Allerdings können wir nahezu beliebige biologische Prozesse in Zellen beobachten, während sie noch leben, um die daran beteiligten Schlüsselgene zu identifizieren.“ Die Forscher bedienen sich dabei eines Tricks: Sie schleusen neben der CRISPR-RNA einen sogenannten Phagenpromoter in den Zellkern ein, der die CRISPR-Sequenzen vervielfältigt und in unterschiedlichen Farben zum Leuchten bringt – die bunten Konfettipunkte können mit üblichen Fluoreszenz-Mikroskopen in jeder Zelle abgelesen werden und verraten, welches Gen ausgeschaltet wurde.
Weniger als einhundert Zellen enttarnen ein relevantes Gen
„Mit NIS-Seq brauchen wir aktuell rund eine Woche, um ein relevantes Gen zu identifizieren“, sagt Marius Jentzsch, ebenfalls Doktorand bei Prof. Schmid-Burgk und Erstautor der Arbeit. „Für einen herkömmlichen CRISPR-Screen benötigt man oft Monate, um die Zellen sauber nach ihrer Funktion voneinander zu trennen.“ Ein weiterer Vorteil der neuen Methode: Sie funktioniert bei nahezu allen Zellen, auch in besonders kleinen oder inaktiven Zellen – vorausgesetzt, sie besitzen einen Zellkern. In der Studie haben die Forscher acht Zelltypen zweier Spezies erfolgreich analysiert. Schmid-Burgk: „Wir sind überzeugt davon, dass unsere Methode der neue Standard für die Identifikation von genetischen Schlüsselakteuren zellulärer Prozesse wird.“
Beteiligte Institutionen und Förderung
Neben der Universität Bonn und dem UKB waren an der Studie die University of Melbourne, das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) sowie das polnische Unternehmen Appilson beteiligt. Gefördert wurde das Projekt durch das Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und den Transdisziplinären Forschungsbereich Life & Health der Universität Bonn sowie den DFG-Sonderforschungsbereich 1454: Metaflammation und Zelluläre Programmierung.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jonathan Schmid-Burgk
Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und TRA „Life & Health“, Universität Bonn
Institut für klinische Chemie und klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Bonn
Tel.: +49 228 287-51650
E-Mail: jsb@uni-bonn.de
Originalpublikation:
Caroline I. Fandrey*, Marius Jentzsch*, Peter Konopka,
Alexander Hoch, Katja Blumenstock, Afraa Zackria, Salie Maasewerd,
Marta Lovotti, Dorothee J. Lapp, Florian N. Gohr, Piotr Suwara,
Jędrzej Świeżewski, Lukas Rossnagel, Fabienne Gobs, Maia Cristodaro,
Lina Muhandes, Rayk Behrendt, Martin C. Lam, Klaus J. Walgenbach,
Tobias Bald, Florian I. Schmidt, Eicke Latz, Jonathan L. Schmid-Burgk. “NIS-Seq enables cell-type-agnostic optical perturbation screening”. Nature Biotechnology, 2024, https://doi.org/10.1038/s41587-024-02516-5
Bilder
Zeigen, wie Gene, die für Krankheiten relevant sind, leichter identifiziert werden können: (im Uhrze …
Felix Heyder
Felix Heyder / Universitätsklinikum Bonn
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch