Mini-Herzen für die Forschung



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10.12.2024 10:55

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Mini-Herzen für die Forschung

Ersatz für Tierversuche: Einem MHH-Forschungsteam ist es gelungen, erstmals ein blutbildendes Herzorganoid herzustellen.

Wie entwickeln sich menschliche Organe, und was geschieht mit ihnen, wenn sie erkranken? Um diese Fragen zu beantworten, setzen Forschende zunehmend auf sogenannte Organoide. Die wenige Millimeter großen Mini-Organe bestehen aus im Labor gezüchteten Zellgruppen, die organähnliche Strukturen ausbilden können. Ähnlich wie in der embryonalen Entwicklung ermöglichen Organoide, das Zusammenspiel von Zellen im dreidimensionalen Raum zu untersuchen – etwa bei Stoffwechselvorgängen oder Krankheitsmechanismen.

Die Herstellung der Organoide ist kniffelig; die jeweils erforderlichen Nährstoffe, Wachstumsfaktoren und Signalmoleküle müssen nach einem genauen Ablaufplan in einer bestimmten Reihenfolge und zu bestimmten Zeitpunkten hinzugefügt werden. 2021 ist es dem Forschungsteam um Dr. Robert Zweigerdt, Zellbiologe an den Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe (LEBAO) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), erstmals gelungen, ein Herzorganoid (heart-forming organoid, HFO) herzustellen und den kompletten Weg bis zur frühen Stufe eines menschlichen Herzens in Zellkultur nachzuvollziehen.

Ein ungelöstes Problem in der Wissenschaft war bislang die Entwicklung eines Modells, welches die Herzentwicklung und die Blutbildung kombiniert nachbildet. Die Blutbildung beginnt im menschlichen Embryo schon nach der vierten Woche in der Aorta zeitlich und örtlich in der Nähe der Herzanlage. Aufbauend auf ihrem Herzorganoid-Modell haben die Forschenden nun stufenweise spezielle Faktoren ergänzt und so ein neues, blutbildendes Herzorganoid (blood-generating HFO, BG-HFO) erzeugt. Dieser Forschungserfolg ist kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Cell Biology“ veröffentlicht worden.

Gewebeentwicklung wie im Embryo

Die Mini-Herzen entstehen aus humanen pluripotenten Stammzellen (hPSC). Das sind Zellen mit besonderen Eigenschaften: Sie können in Kultur unbegrenzt vermehrt werden und jeden beliebigen Zelltyp ausbilden. Mit Hilfe biologischer oder chemischer Signale, eingebettet in eine Hydrogel-Matrix, lassen sich die hPSC so steuern, dass sich dreidimensionale Zellaggregate in zehn bis 14 Tagen in Herzorganoide entwickeln. Hierbei handelt es sich nicht um Herzmuskelzellhaufen, sondern um komplexe Gebilde aus mindestens sieben verschiedenen, klar strukturierten Zell- und Gewebetypen.

Wie in der natürlichen Embryonalentwicklung besteht das künstliche Mini-Herz aus drei becherförmigen Schichten und umfasst die Anlagen des Herzens, der Vorläufer für Leber und Lunge und der Blutgefäße. „Wir haben jetzt unser Differenzierungsprotokoll, also unsere spezielle Versuchsanleitung angepasst und das Herzorganoid um eine dichte Endothelschicht ergänzt, die Blutgefäße auskleidet und aus der die blutbildenden Zellen und Vorläuferzellen hervorgehen“, erklärt Dr. Miriana Dardano, Erstautorin der wissenschaftlichen Studie. „Das ist das erste humane Organmodell dieser Art, das alle Gewebe entsprechend der Entwicklung im Embryo vereint“, sagt die Stammzellbiologin.

Flexibel wie ein Baukasten

„Unsere Studie ermöglicht nun auch anderen Forschenden, in Zellkultur zu untersuchen, wie das gewebeübergreifende Zusammenspiel bei der Blutbildung abläuft“, betont Dr. Lika Drakhlis, Co-Leiterin der Forschungsarbeit. Die neuen Erkenntnisse sind jedoch nicht nur für die Wissenschaft zur Aufklärung der gesunden Organentwicklung und Blutbildung interessant. Auch für Krankheitsbilder wie COVID-19, das neben der Lunge auch Herz und Gefäße angreift, könnte das erweiterte blutbildende Herzorganoid als Modell dienen. Ebenso ließen sich Infektionen mit weiteren Viren oder Bakterien, Krebs oder Fehlbildungen durch Gendefekte in der Zellkulturschale untersuchen und so Herz- und Blutgefäßerkrankungen besser verstehen und besser behandeln. Zudem eignen sich die Organoide, um pharmakologische Wirkstoffe zu testen. „Das funktioniert teilweise sogar besser als beispielsweise an Tiermodellen, weil diese anderen biologischen Einflüssen unterliegen und sich die Ergebnisse dann nur eingeschränkt auf den Menschen übertragen lassen“, stellt die Wissenschaftlerin fest.

Und weil ihr Prinzip der Organoid-Herstellung flexibel wie ein Baukasten ist, bleibt das Augenmerk der LEBAO-Forschenden nicht beim Herzen und Blut stehen. Sie arbeiten bereits an einem neuen Differenzierungsprotokoll, das die hPSC-Ausgangszellen in Zellen anderer Organe umwandelt, damit der medizinischen Forschung künftig weitere Multigewebe-Organoid-Modelle zur Verfügung stehen.

SERVICE:
Die Originalarbeit „Blood-generating heart-forming organoids recapitulate co-development of the human haematopoietic system and the embryonic heart“ finden Sie unter:
https://www.nature.com/articles/s41556-024-01526-4

Weitere Informationen erhalten Sie bei Dr. Robert Zweigerdt, zweigerdt.robert@mh-hannover.de.


Bilder

Dr. Robert Zweigerdt, Dr. Miriana Dardano und Dr. Lika Drakhlis (von links) haben ein vielschichtiges blutbildendes Mini-Herz entwickelt.

Dr. Robert Zweigerdt, Dr. Miriana Dardano und Dr. Lika Drakhlis (von links) haben ein vielschichtige
Copyright: Karin Kaiser/MHH


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW