23.11.2020 13:00
Stoßlüftung um ein Vielfaches wirksamer als Luftfiltergeräte
Geht es um die Risiken, sich im Unterrichtsbetrieb mit dem Corona-Virus zu infizieren, richtet sich das aktuelle Interesse vor allem auf die Qualität der Atemluft in Klassenräumen. Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt ein regelmäßiges kurzzeitiges Fenster-Stoßlüften als wirksame Maßnahme gegen die Virusbelastung, was gleichzeitig auch den notwendigen Austausch von Kohlendioxid sicherstellt. Die Dauer der Lüftung soll sich an der Außentemperatur orientieren. Den Einsatz mobiler Luftfiltergeräte, den kürzlich vorgelegte Studien empfehlen, erachtet das UBA nur im begründeten Ausnahmefall für sinnvoll.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Zu dieser Problematik haben jetzt die Professoren Dr. Hans-Martin Seipp und Dr. Thomas Steffens von der Technischen Hochschule Mittelhessen eine eigene Untersuchung in einem Klassenraum der Leibnizschule in Wiesbaden durchgeführt. Sie ermittelte, wie sich dort die Fenster-Stoßlüftung auf lungengängige Aerosole auswirkt. Als wesentliches Resultat zeigte sich, dass die Stoßöffnung aller Fenster über drei Minuten bei Außentemperaturen von 7-11 Grad Celsius die eingebrachte Konzentration an Aerosolen bis zu 99,8 Prozent senkte. Damit erwies sich die Fensterstoßlüftung um das 10 – 80-Fache wirksamer als ein unlängst dokumentierter Einsatz der maschinellen Luftfilterung. Dabei war in demselben Klassenraum mit vier mobilen Luftfiltergeräten nach zirka 30 Minuten bei gleichzeitigem Dauerbetrieb eine Reduzierung der Konzentration um 90 Prozent festgestellt worden.
Prof. Seipp, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie Diplomingenieur für Umwelttechnik, betrieb an zwei Tagen Messungen in dem 190 Quadratmeter großen unbelebten Klassenzimmer. Bei geschlossenen Fenstern wurden zunächst standardisiert Aerosole im Klassenraum freigesetzt und durch zwei leistungsfähige Ventilatoren verteilt. Der Zerfallsprozess der Aerosole wurde durch einen Laserpartikelmonitor registriert. Anschließend wurden alle Fenster für begrenzte Zeitintervalle von 1 – 5 Minuten geöffnet und dabei die Messungen fortgesetzt, so dass die Aerosolkonzentrationen vor und nach der Stoßlüftung vorlagen. Bei einer Außenlufttemperatur von 17 Grad Celsius sank die Aerosolkonzentration nach Stoßlüften um 31 Prozent (3 Minuten), bzw. um 83 Prozent (5 Minuten). Am zweiten Versuchstag bei 7 – 11 Grad Celsius Außenlufttemperatur wurden in aufeinanderfolgenden Aerosoluntersuchungen folgende Absenkungen erzielt: nach einer Minute Stoßlüftung 92 Prozent, nach zwei Minuten über 98 Prozent und während drei Stoßlüftungen über drei Minuten zwischen 99,4 und 99,8 Prozent.
Die Ingenieurwissenschaftler der THM untersuchten auch den Aspekt der thermischen Behaglichkeit, der oft als Einwand gegen die Fenster-Stoßlüftung in der Herbst- und Winterzeit vorgebracht wird. Dabei wurde die Temperaturentwicklung an insgesamt zehn Messstellen im Raum jeweils im Intervall von 10 Sekunden registriert. Nach einem kurzfristigen Temperaturverlust von bis zu 6 Grad Celsius stabilisierten sich die Raumlufttemperaturen bereits nach vier bis sieben Minuten wieder auf einem Niveau, das nur noch 1 Grad unter dem Ausgangswert lag. Seipp und Steffens gehen davon aus, dass in einem belebten Raum eine noch schnellere Wiederaufwärmung zu erwarten ist.
Kritisch bewertet Prof. Steffens, zu dessen Lehrgebiet der Arbeits- und Immissionsschutz zählt, dass von vier in einem Klassenraum betriebenen mobilen Luftfiltergeräten eine Lärmbelastung von 54-57 dB(A) ausgeht. Darunter leidet die Sprachverständlichkeit im Unterricht; und es stellt eine erhebliche Überschreitung gültiger Grenzen dar, die durch das Baurecht für Schulen (maximal 35 dB(A) bei Lüftungsanlagen) sowie den Arbeitsschutz (55 dB (A)) definiert sind.
Abschließend verweisen die Forscher darauf, dass kostenintensive Hochleistungs-Partikelfilter entsprechend allen internationalen Normen stets mit effizienten Vorfiltern betrieben werden. Damit seien aber mobile Luftfiltergeräte der Preisklasse unter 4.500 Euro in der Regel nicht ausgestattet, ebenso wenig mit einem Melder der Notwendigkeit des Filterwechsels. Beides könne dazu führen, dass die Filterleistung sinkt und immer mehr Aerosole in der Raumluft verbleiben.
Als Resümee ihrer ersten Untersuchungsergebnisse zur Wirksamkeit der Fenster-Stoßlüftung im Vergleich zum Einsatz mobiler Luftfiltergeräte bestätigen Seipp und Steffens die UBA-Empfehlung zur Infektionsvorbeugung uneingeschränkt. Schon in naher Zukunft planen sie weitere Messungen in einer nordrhein-westfälischen Schule.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
hmseipp@web.de
thomas.steffens@lse.thm.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Bauwesen / Architektur, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
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