Ausstieg aus der Braunkohle: Strukturwandel braucht neue Strategien



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19.03.2024 10:24

Ausstieg aus der Braunkohle: Strukturwandel braucht neue Strategien

Die Arbeit der Kohlekommission wird in den Braunkohleregionen im Rückblick kritisch wahrgenommen. Da der Ausstiegsprozess noch nicht abgeschlossen ist, sind laut einer neuen Studie zusätzliche Anstrengungen und neue Strategien erforderlich, um die lokalen Gemeinschaften stärker einzubeziehen. Es brauche mehr Bürgerbeteiligung, mehr Zusammenarbeit der Akteure und Konfliktmediation.

Um Lösungen für die Gestaltung des Kohleausstiegs zu finden, erarbeitete die Kohlekommission 2018/2019 mit Beteiligten aus Industrie, Gewerkschaften, Umwelt und Wissenschaft einen Kompromiss. Jörg Radtke (RIFS) und Martin David (Leuphana Universität Lüneburg) wollten wissen, wie die Bevölkerung in der Lausitz und dem Rheinischen Revier die Verfahrensgerechtigkeit bewertet – ob sie also die Arbeit und Empfehlungen der Kohlekommission als fair empfindet und mit dem anschließenden Strukturwandelprozess zufrieden ist. Dafür analysierten sie mehrere Studien und führten Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Medien in den betroffenen Regionen. Die Verfahrensgerechtigkeit gilt als entscheidend nicht nur für die Zufriedenheit mit dem Ergebnis des Kohleausstiegs, sondern darüber hinaus für das Vertrauen in die demokratische Gestaltung der Entscheidungsfindung allgemein.

Von außen aufgedrängt?

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Interessen der lokalen Bevölkerung in den Braunkohleregionen nicht hinreichend in die Empfehlungen der Kohlekommission eingeflossen sind. „Wir führen dies auf Defizite bei der Abbildung lokaler und stärker umweltorientierter Interessen in die Entscheidungsfindung, auf Mängel bei der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Stakeholdern und auf verpasste Gelegenheiten zur Schaffung eines fairen und offenen Prozesses zurück. Weil die Präferenzen der lokalen Gemeinschaften nicht hinreichend in den Prozess einflossen, hatten sie auch kaum Einfluss auf die anschließende Politikgestaltung“, erläutert Radtke. Viele der Befragten äußerten Bedenken, dass der Wandel zu einer gesellschaftlichen Überlastung in den Regionen führe und dass Außenstehende über ihr Schicksal entschieden.

In der Lausitz sind die Sorgen größer

Im Rheinischen Revier sei es etwas besser gelungen, zivilgesellschaftliche Interessen einzubinden, sagt Radtke: „Hier gab es ein regionales Leitbild, langfristige Strategien, einen Tourismusplan für wirtschaftliches Wachstum und insgesamt mehr Raum für Vernetzung, Kreativität und Experimentierfreude als in der Lausitz, der eine Beteiligungsstrategie fehlte.” Die Anerkennung der Identitäten, Ortverbundenheit und Kulturen lokaler Gemeinschaften sowie gelebter Traditionen sei entscheidend für die Zufriedenheit mit dem Entscheidungs- und Transformationsprozess, wie auch die Ergebnisse der Interviews zeigten.

Die Bevölkerung im Rheinischen Revier blickt positiver in die Zukunft als die in der Lausitz, deren Denken stark von der Wahrnehmung eines Verlustes geprägt ist. Die befragten Lausitzerinnen und Lausitzer betonten die Bedeutung der Ansiedlung von Unternehmen und äußerten große Sorgen über Abwanderungstrends. Die Befragten im Rheinischen Revier beschäftigt hingegen vor allem eine sinnvolle Umsetzung der Energiewende im Revier. Sie fokussieren sich auf Herausforderungen des Strukturwandels, während im Lausitzer Revier eine stärkere Skepsis hinsichtlich positiver Effekte besteht. Von einer stärkeren Tourismus-Förderung und der Ansiedlung von Hightech-Unternehmen, die die Politik ihnen in Aussicht stellt, sind die Lausitzerinnen und Lausitzer nicht überzeugt. Auch das Engagement der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft ist in der Lausitz weniger ausgeprägt als im Rheinischen Revier.

Die Kohlekommission hat laut den Autoren den Bedarf der Lausitz an Strukturwandelunterstützung erkannt, hatte aber nicht den Auftrag, diesen Aspekt weiterzuverfolgen und konkrete Transformationsstrategien zu entwickeln. Künftig seien Strategien der Bürgerbeteiligung, Akteurszusammenarbeit und Mediation im Falle von Konflikten entscheidend, um mehr Verfahrensgerechtigkeit in regionalen Strategien und Umsetzungen der Energiewende und des Strukturwandels herzustellen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Jörg Radtke
joerg.radtke@rifs-potsdam.de


Originalpublikation:

Radtke, J., David, M. How Germany is phasing out lignite: insights from the Coal Commission and local communities. Energ Sustain Soc 14, 7 (2024). https://doi.org/10.1186/s13705-023-00434-z


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Energie, Politik, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW