27.09.2021 11:16
Demenz im Blut aufspüren
Empa-Forscher Peter Nirmalraj will Proteine in nie gekannter Präzision ablichten – und damit Einblicke in das molekulare Krankheitsgeschehen von Alzheimer gewinnen. Dies soll den Weg zu einer früheren und vereinfachten Diagnose der Demenzerkrankung über einen Bluttest ermöglichen. Gemeinsam mit der Klinik für Neurologie des Kantonsspital St.Gallen konnte nun eine erfolgreiche Pilotstudie abgeschlossen werden.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Schleicht sich der Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung ein, müssen sich die Betroffenen auf langwierige und aufwändige Prozeduren einstellen, bis der Fall klar ist. Ein Team der Empa und des Kantonsspital St. Gallen ist nun dabei, einen Bluttest zu entwickeln, der die Diagnose mittels Rasterkraftmikroskopie (AFM) ermöglichen soll. Nun haben die Forscher Ergebnisse einer erfolgreichen Pilotstudie im Fachmagazin «Science Advances» publiziert.
Tiefe Blicke ins molekulare Universum
Am Anfang stand für den Physiker Peter Nirmalraj der Wunsch, das Krankheitsgeschehen von Alzheimer zu verstehen, um neue Wege in Diagnostik und Therapie zu ermöglichen. Einen Schritt weiter wäre man, wenn die genaue Rolle der Beta-Amyloid-Peptide und der Tau-Proteine, die im Zusammenhang mit der neurodegenerativen Krankheit stehen, entschlüsselt wäre. Nirmalraj hatte sich daher vorgenommen, nicht nur die blosse Anwesenheit der verdächtigen Eiweisse zu registrieren, sondern auch ihre veränderbare Gestalt und Form sowie ihre Anzahl zu bestimmen.
Gängige Methoden ermöglichen es zwar, die Gesamtmenge der beiden Eiweisse in Körperflüssigkeiten zu bestimmen. Allerdings erlauben es diese Techniken nicht, Unterschiede in der Gestalt und dem Zustand der Proteinansammlungen sichtbar zu machen. Der Forscher arbeitet darum an Technologien, welche Beobachtungen im Nanometerbereich im Blut ermöglichen und dennoch die Struktur und Morphologie der Eiweisse nicht zerstören.
Gemeinsam mit Neurologen am Kantonsspital St. Gallen konnte Nirmalraj nun eine erste Studie erfolgreich abschliessen. Für die Pilotstudie untersuchte er Blutproben von 50 Patientinnen und Patienten und 16 gesunden Versuchspersonen. Mittels AFM-Technologie analysierte der Empa-Forscher hierzu die Oberfläche von rund 1000 rote Blutkörperchen pro Person, ohne jedoch Informationen über deren Gesundheitszustand zu kennen. «Nur so konnte garantiert werden, dass die Interpretation der Daten objektiv blieb», sagt Nirmalraj.
Eiweissfasern als Indikator
Der Empa-Forscher vermass Grösse, Struktur und Beschaffenheit von Protein-Ansammlungen, die sich auf den Blutkörperchen befanden. Nach Tausenden von roten Blutkörperchen erwartete das Team gespannt den Abgleich der Ergebnisse aus Nirmalraj’s Zählungen mit den klinischen Daten der Neurologen. Und tatsächlich konnten die Forscher ein Muster erkennen, das zum Krankheitsstadium der Versuchspersonen passt: Menschen, die an Alzheimer erkrankt waren, wiesen grosse Mengen von Proteinfasern aus Beta-Amyloid-Peptiden und Tau-Proteinen auf. Dabei konnten sich die Proteine zu Fasern von mehreren hundert Nanometern Länge zusammenfügen. Bei gesunden Personen oder jenen mit beginnenden Hirnleistungsstörungen zählte Nirmalraj hingegen lediglich wenige Fasern.
Damit sei die Machbarkeit einer Blutanalyse mittels AFM-Technologie erwiesen, freut sich der Empa-Forscher: «Sollte sich mit dieser Methode ein zuverlässiger Bluttest entwickeln lassen, bliebe Menschen mit Verdacht auf Alzheimer die unangenehme Punktion des Rückenmarkkanals erspart, um die Krankheit eindeutig diagnostizieren zu können.»
Bis ein einfacher Bluttest im Spital zur Verfügung steht, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Als nächstes möchte das Team nun die Daten durch die Untersuchung einer grösseren Zahl an Versuchspersonen in verschiedenen Krankheitsstadien mittels AFM und chemischen Analysen erhärten.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Peter Nirmalraj, Empa
Transport at Nanoscale Interfaces
Tel. +41 58 765 42 61
peter.nirmalraj@empa.ch
Dr. Ansgar Felbecker, Kantonsspital St. Gallen
Klinik für Neurologie
Tel. +41 71 494 11 11
ansgar.felbecker@kssg.ch
Redaktion / Medienkontakt
Dr. Andrea Six
Kommunikation
Tel. +41 58 765 6133
redaktion@empa.ch
Originalpublikation:
PN Nirmalraj, T Schneider, A Felbecker; Spatial organization of protein aggregates on red blood cells as physical biomarkers of Alzheimer’s disease pathology; Science Advances (2021); DOI: 10.1126/sciadv.abj2137
Weitere Informationen:
https://www.empa.ch/web/s604/alzheimer-diagnostics Empa Medienmitteilung
Youtube-Video
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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