04.03.2019 09:57
Entscheidungsfindung: Voreingenommenheit verändert unsere Sinneswahrnehmung
Stehen Menschen vor mehreren Optionen, können äußere Umstände die Entscheidungsfindung beeinflussen und zu Voreingenommenheit führen. Eine experimentelle Untersuchung am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung konnte nun zeigen, dass das Gehirn visuelle Reize schneller verarbeitet, wenn es von einer bestimmten Option voreingenommen ist. Die Ergebnisse der Studie wurden im Journal eLife veröffentlicht.
Soll ich mir ein neues Auto kaufen oder nicht? Wir sammeln bewusst und unbewusst verschiedene Eindrücke, Fakten und Argumente, bis wir für eine der beiden Optionen so viele Indizien zusammengetragen haben, dass eine Schwelle überschritten wird: Unsere Entscheidung ist gefallen. Äußere Einflüsse, wie zum Beispiel die aktuelle Wirtschaftslage, beeinflussen diesen Entscheidungsprozess. Boomt die Wirtschaft, sind wir eher bereit, bei einem guten Angebot zuzuschlagen. Wenn die Wirtschaft kriselt, sparen wir lieber das Geld, egal wie verlockend der Neuwagen glänzt. Doch was passiert im Gehirn, wenn solche Voreinstellungen unsere Entscheidungen beeinflussen?
Ein Forscherteam um Niels Kloosterman, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Lifespan Neural Dynamics Group“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB), fand jetzt eine mögliche Erklärung. Die Forscher*innen maßen mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG)-Messgeräten die Gehirnaktivitäten von 16 jungen Erwachsenen, während diese Entscheidungsexperimente durchführten. Die Analyse der Daten legt den Schluss nahe, dass das Gehirn seinen Wahrnehmungsmodus verändert, wenn äußere Umstände dies erfordern. Die Indizien für die scheinbar vorteilhaftere Entscheidung werden deutlich schneller gesehen und angesammelt als die Indizien für die scheinbar weniger vorteilhafte Entscheidung. Dies würde bedeuten, dass eine gute wirtschaftliche Lage dazu führt, dass unsere Sinne Hinweise für die Option, ein Auto zu kaufen, schneller wahrnehmen und somit schneller ansammeln, als Hinweise dagegen.
Die Forscher*innen fanden dies anhand von Experimenten heraus, bei denen Proband*innen auf einem Bildschirm ein zufälliges Bildrauschen sahen und einen Knopf drücken mussten, sobald sie in dem Rauschen ein Rechteck wahrnahmen. Im Experiment gab es zwei verschiedene Versuchsbedingungen, die die Entscheidungsfindung der Proband*innen auf unterschiedliche Weise beeinflussten. In der ersten Bedingung wurden die Proband*innen bestraft, wenn sie ein Rechteck verpasst hatten, obwohl es schon da war; in der zweiten Bedingung wurden sie hingegen bestraft, wenn sie auf den Knopf gedrückt haben, obwohl noch gar kein Rechteck sichtbar war. Wie erwartet führten die beiden Bedingungen bei den Proband*innen zu unterschiedlichen Voreinstellungen. In der ersten Versuchsbedingung waren sie eher bereit, den Knopf zu drücken, während sie sich bei der zweiten Versuchsbedingung eher zurückhielten.
Statistische Analysen des Verhaltens der Proband*innen und ihrer Daten aus den EEG-Messungen zeigen, dass bei der ersten Versuchsbedingung die Sehrinde der Proband*innen, also derjenige Teil des Gehirns, der an der Verarbeitung visueller Reize beteiligt ist, aktiver war und empfindlicher reagierte. In der zweiten Versuchsbedingung konnte diese Veränderung nicht beobachtet werden. „Wenn durch äußere Umstände eine bestimmte Entscheidung mehr Vorteile verspricht, verändert sich die Erregbarkeit unseres Gehirns. Für unsere Proband*innen reichte der kleinste Hinweis für ein Rechteck, um den Knopf zu drücken“ sagt Niels Kloosterman.
„Mit dem Nachweis, dass Voreinstellungen die Schnelligkeit der Informationsaufnahme beeinflussen können, ist es uns gelungen, formale Theorien der Entscheidungsfindung in einem wichtigen Punkt zu präzisieren“, sagt Douglas Garrett, Co-Seniorautor der Studie und Leiter der Forschungsgruppe „Lifespan Neural Dynamics Group“ innerhalb des Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research. Zu den zukünftigen Herausforderungen der Forschung gehöre es, diesen im Labor beobachteten Prozess nun auch in komplexeren Entscheidungssituationen zu untersuchen, wie zum Beispiel beim Autokauf.
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Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.
Originalpublikation:
Kloosterman, N. A., de Gee, J. W., Werkle-Bergner, M., Lindenberger, U., Garrett, D. D.*, & Fahrenfort, J. J.* (2019). Humans strategically shift decision bias by flexibly adjusting sensory evidence accumulation. eLife, 8: e37321. http://doi.org/10.7554/eLife.37321
Weitere Informationen:
https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/presse/2019/03/entscheidungsfindung-voreingeno…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch