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11.06.2024 10:37
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Männchen frieren anders
Forschungsteam entdeckt geschlechtstypischen Kältesensor in der Haut
Die Geschlechter frieren unterschiedlich – so lässt sich zusammenfassen, was eine Forschungsgruppe unter Marburger Federführung an Mäusen herausgefunden hat. Ein neu entdeckter Temperaturfühler der Haut sorgt bei männlichen Mäusen dafür, dass sie gemäßigte Kälte empfinden. Es handelt sich um das erste Beispiel für einen Temperatursensor, der bei einem Geschlecht relevanter ist als beim anderen, schreibt das Team im Wissenschaftsmagazin „PNAS“.
Wenn wir Kälte oder Wärme spüren, sind Nervenendigungen in der Haut aktiv. Das Temperaturempfinden beruht auf Ionenkanälen in den Zellen, die auf eine Änderung der Temperatur mit einem veränderten Ionenstrom reagieren. „Wir kennen den von uns identifizierten Temperatursensor KCNQ1 bereits als Ionenkanal aus dem Herzen“, erklärt der Marburger Physiologe Professor Dr. Niels Decher, einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. „Genetische Varianten dieses Ionenkanals sind an der Entstehung von Herzrhythmusstörungen beteiligt.“
Um die Wirkung des Ionenkanals zu testen, schaltete das Team ihn bei Mäusen aus – mit einem bemerkenswerten Ergebnis, wie Dechers Mitarbeiter Dr. Aytug K. Kiper berichtet, der Erstautor des Fachaufsatzes: „Wenn wir KCNQ1 stilllegen, zeigen nur männliche Mäuse erhebliche Defizite bei der Vermeidung mäßig kalter Temperaturen.“ Während diese Männchen im Kalten bleiben, entfernen sich die Weibchen.
Geschlechtsabhängige Unterschiede in der Wärmeempfindlichkeit bei Menschen und Mäusen sind gut dokumentiert. KCNQ1 ist jedoch das erste Gen, von dem berichtet wird, dass es eine Rolle beim geschlechtsspezifischen Temperaturempfinden spielt. Decher gibt auch eine Erklärung für diesen Geschlechtsunterschied: „Dieser Ionenkanal wird durch das männliche Hormon Testosteron angeregt, durch das weibliche Gegenstück Östrogen gehemmt.“
Ob die Ergebnisse auch eine Konsequenz für den Menschen haben, müssen weitere Untersuchungen erweisen. „Es gibt Berichte über Männer mit Herzrhythmusstörungen, die an Herztod sterben, wenn sie in kaltem Wasser schwimmen“, gibt der Physiologe zu bedenken: „Vielleicht verfügen die Betroffenen über eine abweichende Temperaturwahrnehmung, die indirekt zu diesem Phänomen beiträgt?“
Niels Decher leitet die Arbeitsgruppe Vegetative Physiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Marburger Instituts für Anatomie und Zellbiologie sowie der Universitäten Erlangen-Nürnberg, Bochum, Tübingen, Münster und Heidelberg an der Studie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Studienstiftung des Deutschen Volkes förderten die Forschungsarbeit finanziell.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Professor Dr. Niels Decher,
Fachgebiet Vegetative Physiologie
Philipps-Universität Marburg
Tel.: 06421 28-62148
E-Mail: decher@staff.uni-marburg.de
Originalpublikation:
Originalveröffentlichung: Aytug K. Kiper & al.: KCNQ1 is an essential mediator of sex-dependent perception of moderate cold temperatures, PNAS 2024, DOI:
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2322475121
Bilder
Forschungsteam der Universität Marburg (von links): Dr. Martin Schäfer, Privatdozentin Dr. Susanne R …
Aytug K. Kiper
Aytug K. Kiper / Universität Marburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch