18.02.2021 17:00
Spitalhygiene: Genaues Hinschauen zeigt tatsächliche Infektionshäufigkeit
Ein Forschungsteam unter Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern fand einen Zusammenhang zwischen der erfassten Infektionshäufigkeit nach ausgewählten Eingriffen und dem Abschneiden in Qualitäts-Audits. Tiefere Infektionsraten nach Operationen korrelieren mit einem tiefen Audit-Score. Oder umgekehrt: Wer genauer hinschaut, findet häufiger Infektionen. Vorschläge für eine mögliche Verbesserung der Infektionsraten werden präsentiert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Das Auftreten von Infektionen nach chirurgischen Eingriffen (postoperative Wundinfektionen oder im Englischen Surgical Site Infections, SSI) ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal für die Behandlung in Spitälern. Eine 2017 veröffentlichte Übersichtsarbeit in sechs europäischen Ländern dokumentierte hohe Kosten und teils wesentlich schlechtere Operationsergebnisse aufgrund von SSI. Europäische (European Center for Disease Control – ECDC) und US-amerikanische Behörden haben Vorgaben zur Erfassung und Dokumentation der SSI-Rate (Häufigkeit von SSI im Verhältnis zu Eingriffen) erarbeitet. In der Schweiz hat das nationale Zentrum für Infektionsprävention (Swissnoso) auf diesen Vorgaben basierend verbindliche Richtlinien erlassen. Für die Schweiz wurde untersucht, wieweit die offiziell erfassten SSI-Raten mit den Auditergebnissen in Spitälern korrelieren.
Wer sucht, der findet: Tiefe SSI-Zahlen bei tiefem Audit-Score
Die Studie konnte einen deutlichen Zusammenhang zwischen einer tiefen postoperativen Infektionsrate (SSI-Rate) und dem Ergebnis der Überprüfung von deren Überwachung im Rahmen eines Audits (Audit-Score) feststellen. Je besser ein Spital im Rahmen des 50-Punkte-Audits abschnitt, desto mehr Infektionsfälle waren entdeckt bzw. gemeldet worden. Dies traf auf alle drei untersuchten Operationsarten zu (Knie- und Hüftimplantate sowie Dickdarmoperationen). Erstautor Andrew Atkinson: «Die Studie zeigt, dass bei der Interpretation von postoperativen Wundinfekten grundsätzlich auch die Qualität der jeweiligen Überwachungssysteme zu berücksichtigen ist und das unabhängig von der Art des Eingriffs und der Infektionsrate.»
Was wurde genau gemessen?
Analysiert wurden 81 957 Hüft- und Knieoperationen aus 125 Spitälern und 33 315 Dickdarmoperationen aus 110 Spitälern der Schweiz. Es wurden pro Standort mindestens zwei externe Audits durchgeführt, um die Qualität der Überwachung zu erfassen. Grundlage für die Arbeiten waren die Richtlinien von Swissnoso (www.swissnoso.ch). Die detaillierten Auditergebnisse wurden in einer Gesamtnote zwischen 1 und 50 zusammengefasst. Die Audits wurden von drei speziell geschulten Fachleuten durchgeführt.
Resultate im Einzelnen
Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf den Median der Ergebnisse. Die SSI-Rate für Knie- und Hüftimplantate lag bei 1.0% mit einem Audit-Score von 37. Die Infektionsrate für Dickdarmoperationen lag erwartungsgemäss höher bei 12.7% bei einem leicht höheren Audit-Score von 38. Es zeigte sich, dass höhere Infektionsraten mit höheren Audit-Scores korrelierten. Die einzelnen Werte der Spitäler lagen teils sehr weit auseinander. Bei einer Auswertung nach Spitaltypen ergaben sich Hinweise, dass Privatspitäler einen Cluster bilden, der im unteren Bereich der Audit-Scores und der Infektionsraten liegt.
Ausblick: Wie kann ein allfälliger systematischer Fehler korrigiert werden?
Das Forschungsteam macht einen konkreten Vorschlag für künftige Auswertungen und nationale Vergleiche von SSI-Raten. Eine rechnerische Korrektur (Normalisierung) unter Einbezug des Audit-Scores wird zur Diskussion gestellt, um möglichst ein realitätsnahes, korrektes Benchmarking zu ermöglichen. Prof. Jonas Marschall fasst zusammen: «Erstmals haben wir mit dieser Studie eine Grundlage, um die Infektionszahlen schweizweit vergleichbarer zu machen und besser zu verstehen. Nun müssen wir uns anstrengen, dass die regelmässigen Vergleiche unter den Schweizer Spitälern noch aussagekräftiger und der Ansporn ganz vorne mitzumachen noch grösser werden.»
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Jonas Marschall, Chefarzt Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
Dr. Andrew Atkinson PhD, Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
Originalpublikation:
DOI: https://doi.org/10.1017/ice.2021.14 “Surveillance quality correlates with surgical site infection rates in knee and hip arthroplasty and colorectal surgeries: A call to action to adjust reporting of SSI rates”
Weitere Informationen:
http://Sperrfrist 18. Februar 2021, 17:00h
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch