26.07.2021 11:22
Vierdimensional entwirrt – Schaltverhalten von Membranrezeptoren
Ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Jena, der Hochschule Schmalkalden und der Universität Düsseldorf konnte den Schaltvorgang eines Membranrezeptors entschlüsseln, der in Riechneuronen vorkommt. In ihrer jetzt in PNAS erschienenen Arbeit stellen sie ein thermodynamisches Profil für die Wechselwirkungen der vier Untereinheiten dieses Ionenkanals mit einer Analysemethode vor, die auf andere Membranrezeptoren prinzipiell übertragbar ist.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Als wichtige Schaltmoleküle sind Membranrezeptoren an nahezu allen Lebensprozessen beteiligt. Diese oft komplex aufgebauten Proteine sitzen wie sehr sensible Antennen in den äußeren Zellbegrenzungen, den Zellmembranen, und warten auf Signale, die in Form kleiner Moleküle, sogenannter Liganden, kommen und sich spezifisch und passgenau an die jeweiligen Rezeptoren anlagern können. Der Rezeptor ändert dann die Struktur und damit seine Eigenschaften und gibt so den Startschuss für andere Signal- oder auch Stofftransporte in der Zelle. Membranrezeptoren sind z. B. die Docking-Stationen für Adrenalin, Nikotin und Wachstumshormone. Ihr spezifisches Bindungsverhalten spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis von Krankheitsmechanismen oder für Therapieansätze mit Wirkstoffen, die den Liganden chemisch sehr ähnlich sind.
Am Beispiel eines Ionenkanals, der als Membranrezeptor in den Nervenzellen der Nasenschleimhaut maßgeblich am Riechvorgang beteiligt ist, konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Jena, der Hochschule Schmalkalden und der Universität Düsseldorf jetzt das Schaltverhalten eines komplexen Rezeptors umfassend charakterisieren. Dieser Membranrezeptor besteht aus vier Untereinheiten, von denen drei verschieden sind. Jede einzelne kann durch Liganden aktiviert werden und trägt so zum Öffnen des Ionenkanals bei, der den Fluss von verschiedenen Ionen durch die Zellmembran ermöglicht, was beim Riechvorgang zu weiteren Signalen führt.
In einer definierten Anordnung der Untereinheiten wurden die Bindungsstellen systematisch mit molekularbiologischen Techniken ausgeschaltet, was insgesamt 16 Konstellationen ergab. An diesen 16 verschiedenen Kanälen vermaß das Autorenteam den Stromfluss. „So konnten wir akribisch für jeden Schaltschritt die gegenseitige energetische Beeinflussung der Untereinheiten quantifizieren. Auf diese Weise entstand ein vollständiges thermodynamisches Profil für das Schaltverhalten des Rezeptors“, betont Prof. Dr. Klaus Benndorf, Seniorautor der jetzt in den Proceedings of the National Academy of Sciences der U.S.A. erschienenen Arbeit.
Neben den genannten molekularbiologischen Methoden und funktionellen elektrischen Messungen kamen dafür auch mathematische Analysen mit komplexen Markov-Modellen zum Einsatz. Eine elegante mathematische Lösung zur Bestimmung der zahlreichen Konstanten schlug Prof. Dr. Eckhard Schulz von der Hochschule Schmalkalden vor: „Die Schaltmöglichkeiten des vierteiligen Rezeptors legen die Struktur eines vierdimensionalen Würfels nahe. Damit lassen sich die einzelnen Schritte gut veranschaulichen.“
Mit molekularer Modellierung und Simulationsrechnungen konnten schließlich die Molekülsimulationsspezialisten um Prof. Dr. Holger Gohlke von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und vom Jülich Supercomputing Centre dazu beigetragen, die wahrscheinlichste räumliche Anordnung der verschiedenen Untereinheiten ermitteln: „Die verschiedenen Anordnungen unterscheiden sich in den Epitopen zwischen den Untereinheiten, was zu Unterschieden in der gegenseitigen energetischen Beeinflussung der Untereinheiten führen kann“, erläutert Prof. Gohlke.
Deutlich beeindruckt Prof. Klaus Benndorf, dass sich die erdachte kombinatorische Analyse tatsächlich als vollständig umsetzbar erwies. Er sieht darin einen vielversprechenden Ansatz: „Die beschriebene Strategie ist prinzipiell auch für die Analyse anderer Membranrezeptoren geeignet. Sollten diese drei oder fünf Untereinheiten haben, wird man entsprechend einen drei- oder fünfdimensionalen Würfel analog verwenden können. Insgesamt ergibt sich erhebliches Potential für den Informationsgewinn, wie Liganden, und damit auch potentielle Arzneimittel, solche Rezeptoren an- oder abschalten können.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus Benndorf
Institut für Physiologie II, Universitätsklinikum Jena
Klaus.Benndorf@med.uni-jena.de
Originalpublikation:
Schirmeyer et al. Thermodynamic profile of mutual subunit control in a heteromeric receptor. PNAS 2021 118 (30) e2100469118, https://doi.org/10.1073/pnas.2100469118
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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