Wie Tast- und Sehsinn zusammenarbeiten: Sinnesinformationen fließen weit früher zusammen als bisher angenommen



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21.05.2024 12:22

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Wie Tast- und Sehsinn zusammenarbeiten: Sinnesinformationen fließen weit früher zusammen als bisher angenommen

Bei Untersuchungen, wie die Informationen verschiedener Sinne im Gehirn kombiniert werden, entdeckte ein Forschungsteam aus Jena, London und München eine Region im sensorischen Kortex, die sowohl von visuellen als auch von Tastreizen aktiviert wird. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse belegen, dass Sinnesinformationen weit früher als bisher angenommen zusammen verarbeitet werden, und tragen so zum besseren Verständnis der Reizverarbeitung im Gehirn bei.

Um uns in uns in unserer Umwelt zu orientieren oder eine Situation zu beurteilen, nutzen wir alle unsere Sinne, und das gleichzeitig: Wir sehen, fühlen und riechen einen vollreifen Apfel, der beim Reinbeißen knackt und säuerlich-süß schmeckt. Dabei beziehen wir die meisten Informationen über das Sehen, und blenden diesen Sinn manchmal sogar gezielt aus, um uns auf einen anderen zu konzentrieren – beim Küssen mit geschlossenen Augen zum Beispiel.

Wie die Wahrnehmungen verschiedener Sinne im Gehirn zu einem Gesamteindruck miteinander verbunden werden, ist noch nicht vollständig verstanden. Bislang ging man davon aus, dass dies erst in einem relativ späten Stadium der Informationsverarbeitung passiert. „Wir hatten jedoch Hinweise, dass die Eindrücke eines Sinnes bereits an ihrer ersten Station in der Hirnrinde mit den Eindrücken anderer Sinne verschmolzen werden“, so Dr. Manuel Teichert. Der Neurobiologe vom Universitätsklinikum Jena interessiert sich insbesondere dafür, wie diese fusionierten Sinnesinformationen den führenden Sinn beeinflussen und welche Veränderungen im Gehirn vorgehen, wenn dieser Sinn kurz- oder langfristig ausfällt.

Gemeinsam mit einem Forschungsteam aus Jena, London und München untersuchte er deshalb die Kopplung von Seh- und Tastsinn bei Mäusen, letzterer wird bei den Tieren über die Tasthaare an der Schnauze vermittelt. Beide Sinne dienen vor allem der räumlichen Orientierung. Im Gegensatz zum Menschen spielt bei den Nagern das Sehen nur eine untergeordnete Rolle, Mäuse können nicht sehr gut sehen. In ihrem Lebensraum, engen dunklen Gängen, decken ihr Gesichtsfeld und die empfindlichen Tasthaare etwa denselben Bereich ab. Das Forschungsteam verfolgte mit modernsten mikroskopischen und elektrophysiologischen Techniken, wie und wo im Mäusehirn die von verschiedenen Sinnen stammenden Wahrnehmungen zusammenspielen.

„Die Tast- und Bildinformationen vom selben Ausschnitt der Umgebung führen auch im Gehirn in einem scharf abgegrenzten Areal zu Aktivität. Dabei entdeckten wir, dass ein Bereich der primären Sehrinde auch bei Tastreizen aktiviert wird. Bereits die primäre Verarbeitung findet also nicht isoliert statt“, nennt Johann Wutke ein Ergebnis. Der Medizinstudent war im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Forschungsprojekt beteiligt. „Erstaunlicherweise unterdrückt die Tastwahrnehmung die Aktivität der Sehverarbeitung für diesen scharfen Umweltausschnitt, die Sinne hängen also sehr eng zusammen in ihrer Funktion“, ergänzt Manuel Teichert.

Künftige Messreihen sollen hier noch weitere Details aufklären: Wie beeinflussen Tastwahrnehmungen einzelne Aspekte der optischen Information, wie Sehschärfe, Kontrastempfindlichkeit und Orientierungsvermögen. Wie ändert sich die Aktivität in den Hirnarealen, während und nachdem die Maus vorübergehend nichts sehen kann? Und welche strukturellen Veränderungen löst ein dauerhafter Sehverlust aus?

Manuel Teichert: „Wir wissen, dass Hör- und Tastsinn bei erblindeten Menschen oft deutlich sensibler werden. Mit unserer Grundlagenforschung zur multisensorischen Verarbeitung wollen wir zum Verständnis der zugrundeliegenden Umstrukturierungsprozesse im Gehirn beitragen, die ähnlich wahrscheinlich auch nach Lähmungen oder Schlaganfällen auftreten.“


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Manuel Teichert
AG Experimentelle Neurologie, Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Jena
Manuel.Teichert@med.uni-jena.de


Originalpublikation:

Weiler, S., Rahmati, V., Isstas, M. et al. A primary sensory cortical interareal feedforward inhibitory circuit for tacto-visual integration. Nat Commun 15, 3081 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-47459-2


Bilder

Ein Forschungsteam um den Jenaer Neurobiologen Manuel Teichert untersuchte, wie die Sinnesinformationen von Sehen und Tasten im Gehirn zusammenverarbeitet werden.

Ein Forschungsteam um den Jenaer Neurobiologen Manuel Teichert untersuchte, wie die Sinnesinformatio
Heiko Hellmann/UKJ
Universitätsklinikum Jena


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW